Sonntag, 21. September 2014

Künstliche Süßstoffe fördern Diabetes


Künstliche Süßstoffe sind nicht gesünder als Zucker
(Foto: Maddox74 / pixabay.com)

Bestimmte Darmbakterien ändern nach dem Kontakt mit künstlichen Süßstoffen den Stoffwechsel. Das könnte Diabetes fördern, meinen Forscher.


Künstliche Süßstoffe, seit Jahren beworben als Unterstützung beim Abnehmen und zur Vorbeugung gegen Diabetes, könnten laut neuen Untersuchungen die Entwicklung einer Glukose-Intoleranz - die Vorstufe zum Diabetes - sowie Stoffwechselerkrankungen beschleunigen. Und die Zuckerersatzstoffe tun dies auf eine überraschende Weise: Sie ändern die Zusammenstellung und Funktion der Darmbakterien. Diese Ergebnisse, die anhand von Experimenten an Mäusen und Menschen festgestellt wurden, sind im Journal »Nature« nachzulesen.

Süßstoffe fördern Übergewicht und Diabetes

Neben anderen Dingen, sagt Dr. Eran Elinav vom israelischen »Weizmann Institute of Science«, der die Studie zusammen mit Professor Eran Segal geleitet hat, führt auch der weit verbreitete Einsatz künstlicher Süßstoffe in Speisen und Getränken zur weltweit dramatischen Zunahme von Übergewicht und Diabetes.
Über Jahre haben Wissenschaftler über die Tatsache gerätselt, dass kalorienfreie künstliche Süßstoffe keinen Gewichtsverlust unterstützen und einige Studien haben angedeutet, dass sie sogar einen gegensätzlichen Effekt haben. Einige Jungakademiker entdeckten im Labor von Dr. Elinav, dass künstliche Süßstoffe, obwohl sie keinerlei Zucker enthalten, dennoch eine direkte Wirkung auf die Fähigkeit des Körpers haben, Glukose zu nutzen. Glukose-Intoleranz, die im Allgemeinen auftritt, wenn der Körper nicht mit großen Zuckermengen in der Ernährung zurechtkommt, gilt als erster Schritt auf dem Weg zum metabolischen Syndrom (Übergewicht + Bluthochdruck + erhöhter Blutzucker + erhöhte Blutfette) und Typ 2-Diabetes.

Künstliche Süßstoffe rufen Glukose-Intoleranz hervor

Die Wissenschaftler gaben Mäusen Wasser unter Zusatz der drei meist verwendeten künstlichen Süßstoffe Aspartam, Sucralose oder Saccharin. Die verabreichten Mengen entsprachen den Vorgaben der amerikanischen Lebensmittelüberwachungsbehörde FDA (Food and Drug Administration). Diese Mäuse entwickelten nach 11 Wochen eine Glukose-Intoleranz. Bei Mäusen, die nur Wasser oder Wasser mit natürlichem Zucker tranken, trat keine Glukose-Intoleranz auf. Bei der Wiederholung des Experiments mit unterschiedlichen Arten von Mäusen und unterschiedlichen Mengen an Süßstoffen ergaben sich die gleichen Ergebnisse: die Substanzen rufen auf irgendeine Weise eine Glukose-Intoleranz hervor.

Süßstoffe werden nicht im Darm aufgenommen

Als Nächstes untersuchten die Wissenschaftler die Hypothese, dass Darmbakterien in dieses Phänomen verwickelt sind. Vielleicht reagieren Darmbakterien so auf neue Substanzen wie künstliche Süßstoffe, die der Körper selbst nicht als Nahrung erkennt. Tatsächlich werden künstliche Süßstoffe nicht im Verdauungstrakt aufgenommen, sondern nur durchgeschleust und treffen auf dem Weg auf Millionen von Bakterien in der Darmflora.

Darmbakterien werden verändert

Die Wissenschaftler behandelten die Mäuse vier Wochen mit Antibiotika, um viele der Darmbakterien abzutöten. Das kehrte die Wirkung der künstlichen Süßstoffe auf den Glukose-Stoffwechsel völlig um. Als Nächstes übertrugen die Forscher Darmbakterien von Mäusen, die künstliche Süßstoffe konsumiert hatten, auf »keimfreie« Mäuse - mit dem Ergebnis, dass bei den empfangenden Mäusen eine Glukose-Intoleranz auftrat. Das war an sich schon der schlüssige Beweis, dass Änderungen bei den Darmbakterien direkt verantwortlich sind für schädliche Wirkungen auf den Stoffwechsel des Wirtstieres. Die Forschergruppe stellte sogar fest, dass das Zusammenführen von Darmbakterien und künstlichen Süßstoffen außerhalb des Körpers ausreichte, um bei sterilen Mäusen eine Glukose-Intoleranz hervorzurufen. Eine genaue Charakterisierung der Darmbakterien in diesen Mäusen ergab erhebliche Änderungen der Bakterienstämme, einschließlich neuer mikrobieller Funktionen, die dafür bekannt sind, Übergewicht, Diabetes und Folgeerkrankungen bei Mäusen und Menschen zu fördern.

Menschliche Darmflora reagiert ähnlich

Funktioniert die menschliche Darmflora in der gleichen Weise? Elinav und Segal hatten ein Mittel, um das ebenfalls zu testen. In einem ersten Schritt analysierten sie Daten aus ihrem »Personalized Nutrition Project«, die bisher größte klinische Studie, die die Verbindung zwischen Ernährung und Darmbakterien erforscht. Hierbei entdeckten sie einen bedeutenden Zusammenhang zwischen dem Konsum von künstlichen Süßstoffen, der individuellen Zusammensetzung der Darmbakterien und der Neigung zur Glukose-Intoleranz. Sie führten deshalb ein Kontrollexperiment mit einer Gruppe von Freiwilligen, die normalerweise keine Nahrungsmittel mit künstlichen Süßstoffen aßen oder tranken. Die Gruppe sollte nun eine Woche lang Produkte mit künstlichen Süßstoffen zu sich nehmen und danach wurde der Blutzucker und auch die Zusammensetzung der Darmbakterien untersucht.

Eine Woche Süßstoff-Verzehr lässt Glukose-Intoleranz entstehen

Die Ergebnisse zeigten, dass viele - aber nicht alle - der freiwilligen Teilnehmer nach nur einer Woche Konsum von künstlichen Süßstoffen eine Glukose-Intoleranz entwickelten. Die Zusammensetzung der Darmbakterien erklärte den Unterschied: Die Forscher entdeckten zwei verschiedene Populationen von menschlichen Darmbakterien - eine, die beim Kontakt mit künstlichen Süßstoffen eine Glukose-Intoleranz hervorrief, die zweite hatte keine Wirkung. Elinav glaubt, dass bestimmte Bakterien im Darm der Teilnehmer mit Glukose-Intoleranz, auf die künstlichen Süßstoffen reagieren, in dem sie Substanzen ausschütten, die Entzündungsreaktionen hervorrufen ähnlich wie bei einer Überdosis Zucker. Das verändert die Fähigkeit des Körpers, Zucker zu verarbeiten.

Medizin und Ernährung personalisieren

Segal: »Die Ergebnisse unserer Experimente betonen die Wichtigkeit personalisierter Medizin und Ernährung für unsere gesamte Gesundheit. Wir glauben, dass eine integrierte Analyse von individuellen Daten unseres Genoms, Mikrobioms und unserer Ernährungsgewohnheiten uns ermöglichen könnte zu verstehen, wie Nahrung und Nahrungsergänzungen die Gesundheit und das Krankheitsrisiko eines Menschen beeinflussen.«

Süßstoffe verursachen Störungen, anstatt sie zu verhindern

Elinav: »Unsere Beziehung mit unserer individuellen Darmflora ist ein enormer Faktor, der bestimmt, wie unsere Nahrung auf uns wirkt. Besonders faszinierend ist der Link zwischen dem Verzehr von künstlichen Süßstoffen - durch die Bakterien in unserem Darm - und der Tendenz Störungen zu entwickeln, die eigentlich durch die Süßstoffe verhindern werden sollten; das schreit nach einer Neubewertung des heutigen massiven und unkontrollierten Konsums dieser Substanzen.«

Quelle: Jotham Suez, Tal Korem, David Zeevi, Gili Zilberman-Schapira, Christoph A. Thaiss, Ori Maza, David Israeli, Niv Zmora, Shlomit Gilad, Adina Weinberger, Yael Kuperman, Alon Harmelin, Ilana Kolodkin-Gal, Hagit Shapiro, Zamir Halpern, Eran Segal, Eran Elinav. Artificial sweeteners induce glucose intolerance by altering the gut microbiota. Nature, 2014; DOI: 10.1038/nature13793

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