Künstliche Süßstoffe sind nicht gesünder als Zucker (Foto: Maddox74 / pixabay.com) |
Bestimmte
Darmbakterien ändern nach dem Kontakt mit künstlichen Süßstoffen
den Stoffwechsel. Das könnte Diabetes fördern, meinen Forscher.
Künstliche
Süßstoffe, seit Jahren beworben als Unterstützung beim Abnehmen
und zur Vorbeugung gegen Diabetes, könnten laut neuen Untersuchungen
die Entwicklung einer Glukose-Intoleranz - die Vorstufe zum Diabetes
- sowie Stoffwechselerkrankungen beschleunigen. Und die
Zuckerersatzstoffe tun dies auf eine überraschende Weise: Sie ändern
die Zusammenstellung und Funktion der Darmbakterien. Diese
Ergebnisse, die anhand von Experimenten an Mäusen und Menschen
festgestellt wurden, sind im Journal »Nature« nachzulesen.
Süßstoffe
fördern Übergewicht und Diabetes
Neben
anderen Dingen, sagt Dr. Eran Elinav vom israelischen »Weizmann
Institute of Science«, der die Studie zusammen mit Professor Eran
Segal geleitet hat, führt auch der weit verbreitete Einsatz
künstlicher Süßstoffe in Speisen und Getränken zur weltweit
dramatischen Zunahme von Übergewicht und Diabetes.
Über
Jahre haben Wissenschaftler über die Tatsache gerätselt, dass
kalorienfreie künstliche Süßstoffe keinen Gewichtsverlust
unterstützen und einige Studien haben angedeutet, dass sie sogar
einen gegensätzlichen Effekt haben. Einige Jungakademiker entdeckten
im Labor von Dr. Elinav, dass künstliche Süßstoffe, obwohl sie
keinerlei Zucker enthalten, dennoch eine direkte Wirkung auf die
Fähigkeit des Körpers haben, Glukose zu nutzen. Glukose-Intoleranz,
die im Allgemeinen auftritt, wenn der Körper nicht mit großen
Zuckermengen in der Ernährung zurechtkommt, gilt als erster Schritt
auf dem Weg zum metabolischen Syndrom (Übergewicht + Bluthochdruck +
erhöhter Blutzucker + erhöhte Blutfette) und Typ 2-Diabetes.
Künstliche
Süßstoffe rufen Glukose-Intoleranz hervor
Die
Wissenschaftler gaben Mäusen Wasser unter Zusatz der drei meist
verwendeten künstlichen Süßstoffe Aspartam, Sucralose oder
Saccharin. Die verabreichten Mengen entsprachen den Vorgaben der
amerikanischen Lebensmittelüberwachungsbehörde FDA (Food and Drug
Administration). Diese Mäuse entwickelten nach 11 Wochen eine
Glukose-Intoleranz. Bei Mäusen, die nur Wasser oder Wasser mit
natürlichem Zucker tranken, trat keine Glukose-Intoleranz auf. Bei
der Wiederholung des Experiments mit unterschiedlichen Arten von
Mäusen und unterschiedlichen Mengen an Süßstoffen ergaben sich die
gleichen Ergebnisse: die Substanzen rufen auf irgendeine Weise eine
Glukose-Intoleranz hervor.
Süßstoffe
werden nicht im Darm aufgenommen
Als
Nächstes untersuchten die Wissenschaftler die Hypothese, dass
Darmbakterien in dieses Phänomen verwickelt sind. Vielleicht
reagieren Darmbakterien so auf neue Substanzen wie künstliche
Süßstoffe, die der Körper selbst nicht als Nahrung erkennt.
Tatsächlich werden künstliche Süßstoffe nicht im Verdauungstrakt
aufgenommen, sondern nur durchgeschleust und treffen auf dem Weg auf
Millionen von Bakterien in der Darmflora.
Darmbakterien
werden verändert
Die
Wissenschaftler behandelten die Mäuse vier Wochen mit Antibiotika,
um viele der Darmbakterien abzutöten. Das kehrte die Wirkung der
künstlichen Süßstoffe auf den Glukose-Stoffwechsel völlig um. Als
Nächstes übertrugen die Forscher Darmbakterien von Mäusen, die
künstliche Süßstoffe konsumiert hatten, auf »keimfreie« Mäuse -
mit dem Ergebnis, dass bei den empfangenden Mäusen eine
Glukose-Intoleranz auftrat. Das war an sich schon der schlüssige
Beweis, dass Änderungen bei den Darmbakterien direkt verantwortlich
sind für schädliche Wirkungen auf den Stoffwechsel des Wirtstieres.
Die Forschergruppe stellte sogar fest, dass das Zusammenführen von
Darmbakterien und künstlichen Süßstoffen außerhalb des Körpers
ausreichte, um bei sterilen Mäusen eine Glukose-Intoleranz
hervorzurufen. Eine genaue Charakterisierung der Darmbakterien in
diesen Mäusen ergab erhebliche Änderungen der Bakterienstämme,
einschließlich neuer mikrobieller Funktionen, die dafür bekannt
sind, Übergewicht, Diabetes und Folgeerkrankungen bei Mäusen und
Menschen zu fördern.
Menschliche
Darmflora reagiert ähnlich
Funktioniert
die menschliche Darmflora in der gleichen Weise? Elinav und Segal
hatten ein Mittel, um das ebenfalls zu testen. In einem ersten
Schritt analysierten sie Daten aus ihrem »Personalized
Nutrition Project«,
die bisher größte klinische Studie, die die Verbindung zwischen
Ernährung und Darmbakterien erforscht. Hierbei entdeckten sie einen
bedeutenden Zusammenhang zwischen dem Konsum von künstlichen
Süßstoffen, der individuellen Zusammensetzung der Darmbakterien und
der Neigung zur Glukose-Intoleranz. Sie führten deshalb ein
Kontrollexperiment mit einer Gruppe von Freiwilligen, die
normalerweise keine Nahrungsmittel mit künstlichen Süßstoffen aßen
oder tranken. Die Gruppe sollte nun eine Woche lang Produkte mit
künstlichen Süßstoffen zu sich nehmen und danach wurde der
Blutzucker und auch die Zusammensetzung der Darmbakterien untersucht.
Eine
Woche Süßstoff-Verzehr lässt Glukose-Intoleranz entstehen
Die
Ergebnisse zeigten, dass viele - aber nicht alle - der freiwilligen
Teilnehmer nach nur einer Woche Konsum von künstlichen Süßstoffen
eine Glukose-Intoleranz entwickelten. Die Zusammensetzung der
Darmbakterien erklärte den Unterschied: Die Forscher entdeckten zwei
verschiedene Populationen von menschlichen Darmbakterien - eine, die
beim Kontakt mit künstlichen Süßstoffen eine Glukose-Intoleranz
hervorrief, die zweite hatte keine Wirkung. Elinav glaubt, dass
bestimmte Bakterien im Darm der Teilnehmer mit Glukose-Intoleranz,
auf die künstlichen Süßstoffen reagieren, in dem sie Substanzen
ausschütten, die Entzündungsreaktionen hervorrufen ähnlich wie bei
einer Überdosis Zucker. Das verändert die Fähigkeit des Körpers,
Zucker zu verarbeiten.
Medizin
und Ernährung personalisieren
Segal:
»Die Ergebnisse unserer Experimente betonen die Wichtigkeit
personalisierter Medizin und Ernährung für unsere gesamte
Gesundheit. Wir glauben, dass eine integrierte Analyse von
individuellen Daten unseres Genoms, Mikrobioms und unserer
Ernährungsgewohnheiten uns ermöglichen könnte zu verstehen, wie
Nahrung und Nahrungsergänzungen die Gesundheit und das
Krankheitsrisiko eines Menschen beeinflussen.«
Süßstoffe
verursachen Störungen, anstatt sie zu verhindern
Elinav:
»Unsere Beziehung mit unserer individuellen Darmflora ist ein
enormer Faktor, der bestimmt, wie unsere Nahrung auf uns wirkt.
Besonders faszinierend ist der Link zwischen dem Verzehr von
künstlichen Süßstoffen - durch die Bakterien in unserem Darm - und
der Tendenz Störungen zu entwickeln, die eigentlich durch die
Süßstoffe verhindern werden sollten; das schreit nach einer
Neubewertung des heutigen massiven und unkontrollierten Konsums
dieser Substanzen.«
Quelle:
Jotham Suez, Tal Korem, David Zeevi, Gili Zilberman-Schapira,
Christoph A. Thaiss, Ori Maza, David Israeli, Niv Zmora, Shlomit
Gilad, Adina Weinberger, Yael Kuperman, Alon Harmelin, Ilana
Kolodkin-Gal, Hagit Shapiro, Zamir Halpern, Eran Segal, Eran Elinav.
Artificial sweeteners induce glucose intolerance by altering the gut
microbiota. Nature, 2014; DOI: 10.1038/nature13793
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