Frauen erfahren Schmerz anders (Foto: geralt - pixabay.com) |
Männer und Frauen empfinden Schmerz auf unterschiedliche Weise.
Die Schmerzerfahrung hängt vom Geschlecht ab. Schuld sind die
weiblichen Hormone, sagen Wissenschaftler.
Frauen sind anders, wenn es um
Schmerz geht
Männer
und Frauen sind durchaus verschieden, wenn es um Schmerz geht.
Fibromyalgie (Faser-Muskel-Schmerz) ist dafür ein gutes Beispiel:
Die rheumatische Krankheit, auch als Weichteilrheumatismus bekannt,
trifft Frauen vier- bis sechsmal häufiger als Männer. Generell
kommen Schmerzen zwei- bis dreimal so häufig bei Frauen als bei
Männern vor; beispielsweise Kopfschmerzen, Bauchschmerzen,
rheumatische Schmerzen oder Schmerzen des Bewegungsapparates. Doch
die Gründe sind nicht einzig und allein anatomisch bedingt wie zum
Beispiel Menstruationsschmerz, sondern auch hormoneller Natur. Die
Geschlechtshormone haben nämlich nicht nur Einfluss auf die
Fortpflanzung und die Geschlechtsmerkmale eines Menschen, sondern
auch auf das zentrale Nervensystem und damit auf das Schmerzzentrum.
Die Forschungen diesbezüglich sind noch in vollem Gange. Es ist
deshalb noch zu früh, um zu sagen, welches Hormon genau für die
stärkere Schmerzerfahrung bei Frauen verantwortlich ist. Doch laut
Professor Serge Marchand, Neurophysiologe am medizinischen Zentrum
der kanadischen Universität Sherbrooke und einer der internationalen
Spezialisten, die an der Studie mitarbeiteten, soll es hauptsächlich
mit dem Gleichgewicht zwischen Testosteron, Progesteron und Östrogen
zu tun haben. »Aus Forschungen, die unser Team durchgeführt hat,
ging hervor, dass Testosteron - sowohl bei Frauen als bei Männern -
die Wirkung von Schmerz lindert.«
Erst
kürzlich stellten amerikanische Wissenschaftler der Universität
Florida fest, dass bei Patienten mit Knie-Arthrose, Frauen
empfindlicher auf unterschiedliche Schmerzarten reagieren. Sie haben
zum Beispiel eine niedrigere Schmerzgrenze bei Hitze, Kälte und
Druck und insgesamt mehr Schmerzen als Männer mit derselben
Erkrankung.
Frauen sind keine Jammerlappen
Frauen
sind beileibe keine Jammerlappen, sondern Opfer ihrer Hormone. Im
Gegensatz zu Testosteron - das bei hohen Werten eine Art
Schmerzpuffer bildet - unterdrückt ein hoher Östrogen- und
Progesteronspiegel die positive Wirkung bestimmter hemmender
Mechanismen, die normalerweise das Schmerzempfinden im Körper
blocken. Diese Mechanismen schützen vor einer Überreizung und
sorgen dafür, dass Schmerz über den Körper verteilt abnimmt, wenn
er an einer bestimmten Körperstelle besonders stark ist. »Das
könnte erklären, warum Frauen während der Menstruation, aber auch
kurz davor oder danach (perimenstruelle Phase), mehr Schmerz
empfinden«, so Marchand, »denn der Östrogen- und
Progesteronspiegel ist dann erhöht.« Eine andere aktuelle
Entdeckung zeigt, dass die Geschlechtshormone einen Einfluss auf die
Regionen in der Hirnrinde ausüben, die die Schmerzausschaltung
(Analgesie) durch Ausschüttung von Endorphinen regeln. Der
Endorphinspiegel sinkt im Laufe des Menstruationszyklus, wodurch die
schmerzstillende Wirkung dieser Substanzen nachlässt. Das betrifft
besonders die Follikelphase, also den ersten Teil des
Menstruationszyklus, wenn der Progesteronspiegel am niedrigsten ist
und der Östrogenspiegel das höchste Niveau erreicht.
Pille und Zyklus beeinflussen
Schmerzen
Wenn
Sie wegen Schmerzsymptomen zum Arzt gehen, sollten Sie ihm am besten
mitteilen, ob die Schmerzen während der perimenstruellen Phase oder
zu einem bestimmten Zeitpunkt während des Monatszyklus zugenommen
haben und welche Wirkung eventuell die Einnahme hormoneller
Verhütungsmittel auf die Schmerzempfindung hat. Ihre Angaben können
dem Arzt bei der Wahl der richtigen Therapie helfen. »Er kann die
hormonalen Schwankungen und die verwendete Antibabypille
berücksichtigen und anhand der geschilderten Symptome die passenden
Medikamente finden. So kann er zum Beispiel empfehlen, eine andere
Pille zur Verhütung einzunehmen«, erklärt Marchand.
Schmerz hängt bei Frauen mit Angst
zusammen
Hormonelle
Faktoren sind nicht die einzige Ursache für Schmerzempfinden. Auch
Angst spielt dabei mit. Aus neurophysiologischen Studien ging hervor,
dass Frauen ein höheres basales Angstniveau - die sogenannte
Basisangst - haben als Männer. Männer erfahren dafür mehr Stress
in bestimmten Situationen. Diese Form wird »situative« Angst
genannt. Unter dem Druck der kontinuierlichen Angst sollen Frauen
empfindlicher für chronische Schmerzen sein. »Es ist deshalb
wichtig«, so Professor Marchand, »dass Frauen ihren Arzt nicht nur
über die physiologischen Folgen ihrer Schmerzen informieren, sondern
auch mit ihm über eventuelle psychische Probleme reden.«
Männer und Frauen reagieren
unterschiedlich auf Schmerzmittel
Die
Untersuchungen nach der unterschiedlichen Wirkung von Schmerzmitteln
bei Männern und Frauen ist in vollem Gange. So hat man festgestellt,
dass bestimmte Morphine oder Opioide bei Männern und Frauen nicht
auf dieselbe Weise wirken und deshalb andere Dosierungen nötig sind,
um ein Schmerzmedikament zu produzieren. Frauen reagieren nämlich
weitaus besser auf Opioide, die an den kappa-Rezeptoren wirken und
erfahren eine dadurch eine größere Schmerzlinderung als Männer.
Doch das wurde nie berücksichtigt und die heutigen Schmerzmittel
wurden auf der Basis von Studien entwickelt, die fast ausschließlich
männliche Teilnehmer hatten. »Man hat dieser unterschiedlichen
Reaktion auf Schmerzmittel keine Aufmerksamkeit geschenkt und Frauen
haben deshalb immer Dosierungen verordnet bekommen, die
ausschließlich auf ihr Gewicht abgestimmt war«, bedauert Professor
Marchand. »Auch wenn die Unterschiede im Schmerzempfinden gering
sind, so macht es doch für Frauen, die an chronischen Schmerzen
leiden, einen Unterschied.«
Schmerzmittel für Frauen sind oft
Augenwischerei
Glücklicherweise
beginnt man sich endlich der Unterschiede zwischen Männern und
Frauen bewusstzuwerden auf dem Gebiet des Schmerzempfindens und der
Schmerzbekämpfung. Doch aufgepasst: Bestimmte Schmerzmittel, die
heutzutage speziell für Frauen verkauft werden, sind manchmal
teurer, obwohl sie exakt denselben Wirkstoff enthalten als das
Pendant für die Männer. Lassen Sie sich deshalb von Ihrem Apotheker
genau informieren.
Quellen:
Emily J. Bartley et al. Enhanced pain sensitivity among individuals
with symptomatic knee osteoarthritis: Potential sex differences in
central sensitization. Arthritis Care Res (Hoboken). 2015 Oct 5. doi:
10.1002/acr.22712
Katy
Vincent, Catherine Warnaby, Charlotte J. Stagg, Jane Moore, Stephen
Kennedy, Irene Tracey. Brain imaging reveals that engagement of
descending inhibitory pain pathways in healthy women in a low
endogenous estradiol state varies with testosterone. Pain. 2013
Apr;154(4):515-24, doi: 10.1016/j.pain.2012.11.016
Philippe
Goffaux, Karine Michaud, Janou Gaudreau, Philippe Chalaye, Pierre
Rainville, Serge Marchand. Sex differences in perceived pain are
affected by an anxious brain. Pain. 2011 Sep;152(9):2065-73. doi:
10.1016/j.pain.2011.05.002
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