Glutenfreie Diäten können für Kinder, die eigentlich kein
Problem mit dem Verdauen des Klebereiweißes aus Getreide haben, mehr
schaden als nützen.
Glutenfreie Produkte werden immer
mehr in den Regalen von Supermärkten und Drogeriemärkten angeboten.
Glutenfrei gilt als hip und besonders gesund. Eltern glauben, dass
sie bei ihren Kindern so einer Glutenintoleranz vorbeugen können.
Doch eine glutenfreie Ernährung ist sicher nicht für jeden heilsam.
Vor allem bei gesunden Kindern hat es wenig Sinn, ihnen eine
glutenfreie Diät zu verordnen. Es kann sogar für sie zur Gefahr
werden.
Glutenfreie Produkte bringen
Gesunden keinen Vorteil
Zöliakie
oder Glutenintoleranz ist eine Erkrankung, bei der die
Darmschleimhaut beschädigt wird, wenn Gluten mit der Nahrung in den
Darm gelangt. Gluten ist unter anderem Bestandteil von Getreidesorten
wie Weizen, Hafer, Roggen, Gerste und Dinkel. Wer an Zöliakie leidet
sollte glutenhaltige Produkte am besten meiden. Doch auch bei
Menschen, die keine Intoleranz gegenüber Gluten haben, werden
glutenfreie Nahrungsmittel immer populärer, obwohl sie für Gesunde
keinen Nutzen haben. Erst recht bei Kindern ist es gefährlich, das
Gluten einfach so aus der Ernährung zu streichen, erklärt Dr.
Norelle R. Reilly, Kinderärztin und Spezialistin für
Magen-Darm-Erkrankungen am medizinischen Zentrum der
Columbia-Universität. Sie weist auf vier Dinge hin, die Sie wissen
sollten, bevor Sie Gluten vom Speiseplan Ihrer Kinder streichen. In
einem Artikel im Fachjournal »The
Journal of Pediatrics«
werden verschiedene Aspekte zur glutenfreien Ernährung bei Kindern
diskutiert.
Gluten ist nicht giftig
Gluten
kommt in verschiedenen alltäglichen Nahrungsmitteln vor. Nicht nur
in Getreideprodukten wie Brot, Nudeln und Keksen, sondern auch
versteckt in bearbeiteten Lebensmitteln wie Brühwürfeln, Soßen,
fertig zubereitetem Fleisch und Bier. Dennoch ist Gluten von Natur
aus nicht giftig für den Körper. Nur wer tatsächlich mit einer
Glutenintoleranz kämpft, wird Magen-Darm-Beschwerden bekommen, wenn
er entsprechende Nahrungsmittel zu sich nimmt. In allen anderen
Fällen ist es sinnlos, Gluten zu meiden. Einem Kind vorsorglich kein
Gluten zu geben, in der Hoffnung, dass es so nicht glutenintolerant
wird, ist daher auch keine gute Idee, meint Dr. Reilly. Eine
ausgewogene Ernährung mit Gemüse, Obst, Eiweiß und verschiedenen
Sorten Kohlenhydraten ist noch immer die beste Art, ein Kind gesund
zu halten.
Glutenfrei ist kein Synonym für
gesund
»Glutenfrei«
hat oft zu unrecht ein gesundes Image, obwohl das nicht immer der
Fall ist. Obst und Gemüse sind von Natur aus glutenfrei und auch
wichtig in der kindlichen Ernährung. Aber ein glutenfreier Keks
bleibt ein ungesunder Keks. Darüber hinaus enthalten viele
glutenfreie Alternativen zu Brot und Keksen oft mehr Fett und
Kalorien als die glutenhaltige Version. Manchmal findet man auch
weniger Vitamine und Folsäure in solchen Ersatzprodukten, was
schlimmstenfalls zu Vitaminmangel führen kann. Außerdem ist eine
glutenfreie Diät arm an Ballaststoffen, die für gesunde Menschen
wichtig sind für Darm und Verdauungsprozess. Häufig kommt es bei
Kindern, die beginnen glutenfrei zu essen, zu Verstopfung, weiß Dr.
Reilly aus eigener Erfahrung. Von Experimenten bei Kindern mit einer
glutenfreien Diät, ohne dass eine Glutenintoleranz diagnostiziert
wurde und ohne ärztliche Begleitung, ist deshalb abzuraten.
Schwierigere Diagnose
Beginnen
Sie als Eltern von sich aus mit Ihrem Kind glutenfrei zu essen, dann
ist es später für Ärzte schwieriger festzustellen, ob Ihr Kind mit
einer Intoleranz zu kämpfen hat. Symptome alleine reichen nicht aus,
um eine Diagnose stellen zu können und ein Bluttest im Nachhinein
kann keinen Unterschied mehr machen zwischen einem Kind mit Zöliakie,
dass glutenfrei isst und einem Kind, das eigentlich nie Zöliakie
hatte, aber trotzdem glutenfrei isst. Sprechen Sie deshalb immer erst
mit einem Arzt, wenn Sie eine Intoleranz vermuten und bevor Sie damit
beginnen, bestimmte Nahrungsmittelgruppen vom Speiseplan zu
streichen.
Teuer und sozial einschränkend
Es
ist schon als Erwachsener nicht leicht mit einer Glutenintoleranz zu
leben, geschweige denn als Kind. Bei vielen kindlichen Aktivitäten
spielt Essen eine Rolle, denken Sie an Geburtstagsfeste, Ausflüge
und Schulessen. Kinder, die Gluten meiden müssen, fühlen sich oft
als Außenseiter gegenüber ihren Altersgenossen oder befürchten,
dass ihre Diät Einfluss auf zukünftige Entscheidungen wie Studium
oder Berufs- und Karrierewünsche haben könnte. Zudem sind
glutenfreie Nahrungsmittel sehr teuer, was für viele Familien eine
finanzielle Herausforderung darstellt.
Geschäftsidee »glutenfrei«
Weil
inzwischen die Nachfrage nach glutenfreien Produkten steigt, freuen
sich die Hersteller solcher Nahrungsmittel über steigende Umsätze.
Glutendiät ist angesagt, die Produkte sind bereits zur Massenware
geworden und solch ein lukratives Geschäft lassen sich die
Hersteller natürlich nicht entgehen. Glutenfreie Nahrungsmittel
kosten durchschnittlich zweieinhalb Mal so viel wie herkömmliche
Nahrungsmittel. Dabei ist nur etwa ein Prozent der Bevölkerung
tatsächlich von Zöliakie betroffen. Doch Gluten hat mittlerweile
fast einen genauso miserablen Ruf wie Kohlenhydrate oder Fett. Und
Prominente, denen häufig nachgeeifert wird, schwören auf Diäten
ohne Weizen und Gluten. Getreide soll dick und krank machen. Und so
ist der Umsatz mit glutenfreien Lebensmitteln nach Angaben des
Marktforschungsinstituts Nielsen mittlerweile auf 117 Millionen Euro
gestiegen. Bevor Sie also weiter die Kassen der Hersteller klingeln
lassen, sollten Sie einen Arzt fragen, ob sich diese Investition in
die Gesundheit wirklich lohnt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.