Menschen ab 50, die körperlich anstrengende Berufe ausüben, müssen eigentlich umschulen. Sonst riskieren sie, einige Jahre früher zu sterben.
Wir sollen zukünftig immer länger
arbeiten für unsere Altersrente. Anders ist das Rentensystem nicht
zu finanzieren, sagt der Gesetzgeber. Doch Menschen, die nach dem 50.
Lebensjahr noch schwer körperlich arbeiten, werden nach ihrer
Pensionierung weniger lange Leben, meint der niederländische
Gesundheitsökonom Bastian Ravesteijn von der Erasmus-Universität
Rotterdam.
Schwere Berufe lassen schneller
altern
Menschen
mit körperlich belastenden Berufen müssten eigentlich nach dem 50.
Lebensjahr umschulen. Das könnte verhindern, dass ihre Arbeit ihrer
Gesundheit so weit schadet, dass sie überhaupt nicht mehr arbeiten
können. Denn der Gesundheitseffekt eines Jahres körperlich schwerer
Arbeit, ist vergleichbar mit 16 Monaten älter werden. Das ist das
Ergebnis der Promotionsarbeit von Gesundheitsökonom Bastian
Ravesteijn über die Gesundheitsunterschiede zwischen Arm und Reich.
Umschulung statt
Erwerbsunfähigkeit
Wie
kann der Gesetzgeber Gesundheitsunterschiede zwischen Arm und Reich
verkleinern? Das ist die zentrale Frage in Ravesteijns Doktorarbeit
»Measuring the Impact of Public Policy on Socioeconomic Disparities
in Health«. Er untersuchte die Wirkung politischer Maßnahmen auf
die gesundheitlichen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Ravesteijn
meint, dass Menschen mit körperlich anstrengenden Berufen nach dem
50. Lebensjahr umschulen sollten. So könnte vermieden werden, dass
ihr Beruf ihnen so viel schadet, dass sie gar nicht mehr arbeiten
können. Der Gesundheitseffekt eines Jahres körperlich schwerer
Arbeit im höheren Alter ist nämlich vergleichbar mit der Wirkung
von 16 Monaten Alterungsprozess. Im Klartext: Wer zwölf Monate
schwer körperlich arbeitet, altert gleichzeitig um 16 Monate.
Wenig eigene
Kontrolle macht auch alt
Und
wer wenig Kontrolle hat über seine täglichen Aufgaben bei der
Arbeit - was häufig vorkommt bei schweren Berufen - altert immer
noch sechs Monaten schneller. Längere Lebensarbeitszeit bedeutet für
Arbeitnehmer in schweren Berufen daher, dass sie länger
gesundheitsschädlichen Effekten ausgesetzt sind, gerade in einem
Alter, in dem diese Arbeit am schwersten fällt.
Die fünf
schwersten Berufe
Ravesteijn
hat anhand von Daten über Merkmale bestimmter Berufsgruppen eine
Rangliste mit 320 Berufen erstellt, sortiert nach dem Grad der
Gesundheitsbelastung. Die körperlich schwersten häufig vorkommenden
Berufe sind demnach: Maurer, Zimmermann, Postsortierer, Bäcker und
Pflegepersonal. Auf derselben Ebene können auch Feuerwehrleute
angesiedelt werden. »Feuerwehrleute wissen bei ihrer Berufswahl,
dass sie früher in Rente gehen. Diese Kompensation gibt es nicht
umsonst. Sie arbeiten auf einen vorgezogenen Ruhestand hin und
brauchen ihn auch, sowohl körperlich als geistig«, meint
Ravesteijn. »Sie hätten vielleicht diesen Beruf nicht ergriffen,
wenn das Rentenalter höher gewesen wäre.«
Fünf Berufe mit
wenig Eigenregie
Die
fünf Berufe, bei denen Arbeitnehmer am wenigsten Kontrolle über die
täglichen Aufgaben haben, sind: Fließbandmitarbeiter,
Maschinenbediener in Chemiefabriken, Maurer, Postsortierer und
Kassenpersonal. Für seine Untersuchungen griff Ravesteijn auf Daten
über Arbeit und Gesundheit zurück aus den Niederlanden und
Deutschland, wo Menschen bis zu 29 Jahre beobachtet wurden. So konnte
man Faktoren berücksichtigen, die sowohl die Auswahl der
Berufsgruppen als auch die Gesundheit beeinflussten.
Stress soll
weniger schaden als körperlich anstrengende Arbeit
Ravesteijn
zeigt weiter, dass Menschen mit wenig geschätzten Berufen in den
Niederlanden dreimal so häufig über eine schlechte Gesundheit
berichteten als Menschen mit hoch angesehenen Berufen. Ihre
Sterberate ist doppelt so hoch und sie werden zweimal so häufig
erwerbsunfähig. Eine allgemeine Erhöhung des Rentenalters ist damit
nachteiliger für Menschen mit anstrengenden Berufen: Wenn sie zwei
Jahre länger arbeiten müssen, stellt das einen relativ größeren
Anteil ihrer Lebenserwartung nach der Pensionierung dar. Das
Rentenalter für Menschen in körperlich weniger anstrengenden
Berufen steigen zu lassen - meist Menschen mit höherer Ausbildung
und höherem Einkommen - scheint dagegen eine vernünftige politische
Maßnahme. »Ich habe in meiner Untersuchung keinen Beweis gefunden,
dass Stress schädlich ist. Körperliche Belastung nach dem 45.
Lebensjahr ist jedoch schädlich und ab 55 sogar gefährlich und
riskant. Außerdem kann die emotionale Belastung der Arbeit auch noch
Einfluss haben, aber das konnte ich nicht vergleichen«, erklärt
Ravesteijn.
Effekte einer
späteren Schulwahl
Eine
andere Untersuchung der Promotionsarbeit beschäftigte sich mit dem
Effekt eines späteren Schulwahlalters auf Chancengleichheit bei
Bildung und die Gesundheit in späteren Lebensjahren. Laut Ravesteijn
sorgt eine Verzögerung der Schulwahl um einige Jahre für mehr
Gleichheit zwischen Arm und Reich.
In
den Niederlanden wählen Kinder bereits mit zwölf Jahren eine
mittlere Schullaufbahn, so dass sie früh getrennt und auf
unterschiedlichen Niveaus unterrichtet werden. In Ländern wie
Finnland hingegen werden Kinder unterschiedlicher Klassenstufen seit
den 1970-er Jahren bis zum Alter von 16 Jahren zusammenunterrichtet.
So wird vermieden, dass Kinder zu früh eine bestimmte Richtung
einschlagen. Dadurch das das Alter der Schulwahl in Finnland in
einigen Regionen früher erhöht wurde als in anderen Regionen,
konnte Ravesteijn die Wirkung dieses Systems einschätzen und
gleichzeitig die Unterschiede zwischen Geburtsjahrgängen und
Regionen berücksichtigen.
Spätere
Schulwahl für sozial schwache Familien positiv
Ravesteijn
schließt daraus, dass die Erhöhung des Schulwahlalters in Finnland
- von 11 auf 16 Jahre - positive Auswirkungen hatte für Kinder aus
Familien mit niedrigem Einkommen. Ihre Chance, einen
Universitätsabschluss zu erreichen, stieg von 6 auf 7,5 Prozent. Die
Chance auf einen Universitätsabschluss für Kinder aus Familien mit
höherem Einkommen nahm dagegen von 24 auf 22 Prozent ab durch das
Absenken des Schulwahlalters.
Die
späte Schulwahl wirkte sich auf den gesamten Lebenslauf aus: Das
Sterberisiko bis zum 50. Lebensjahr von Kindern aus armen Familien
nahm um 20 Prozent ab, ergab die Untersuchung von Ravesteijn. Auch
hier war der Effekt für Kinder reicherer Eltern negativ: Ihr
ursprünglich niedrigeres Sterberisiko stieg um 25 Prozent, so dass
der Unterschied beim Sterberisiko zwischen Arm und Reich sich fast in
Nichts auflöste. Im alten System hatten Kinder aus Familien mit
niedrigerem Einkommen noch ein 50 Prozent höheres Sterberisiko.
Schüler werden in weiterführenden Schulen in eine bestimmte
Richtung geführt und formen danach auch ihr soziales Netzwerk, das
während ihres gesamten Lebens ihr Verhalten beeinflusst. Berufswahl
und Lebensweise können auch Einfluss haben auf das Sterberisiko.
Jobwechsel nach
dem 50. Lebensjahr fast aussichtslos
So
zeigt sich erneut, wie in vielen früheren Untersuchungen, dass Aus-
und Fortbildung ein wirksames Mittel ist, um länger zu leben. Doch
wie ist das machbar? Weiterbildung und Umschulung braucht Zeit und
Geld. Zudem ist die Frage, wer heute noch nach seinem 50. Geburtstag
den Beruf wechseln kann. Es ist für Generation 50+ bereits jetzt
schon so gut wie aussichtslos neue Jobs zu finden. Da helfen auch
keine Universitätsanschlüsse, Diplome oder mehrere abgeschlossene
Berufsausbildungen. Und Flexibilität innerhalb eines Unternehmens
ist in den meisten Branchen auch nur bedingt möglich. Vom Fließband
zum Bürojob: Schöne Idee, aber da es immer mehr ältere
Arbeitnehmer geben wird, wohl kaum umzusetzen.
Quelle:
Erasmus-Universität Rotterdam
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