Donnerstag, 17. August 2017

Vergesslichkeit macht schlauer


Vergesslichkeit ist – obwohl sie als hinderlich empfinden – nicht immer schlecht. Wissenschaftler erklären das Phänomen des „zerstreuten Professors“ und warum wir es brauchen.

Das stereotype Bild des „zerstreuten Professors“ geht schon auf das alte Griechenland zurück. Der Philosoph Thales von Milet soll vom Geschehen am nächtlichen Himmel so gefesselt gewesen sein, dass er alles um sich herum vergaß und einmal sogar in eine Grube fiel, so berichtet zumindest eine Anekdote von Plato. Auch einer der weltweit klügsten Köpfe, Albert Einstein, ist für seine kleinen Vergesslichkeiten bekannt, wie unter anderem das Kämmen seiner Haare.
Lernen braucht Vergesslichkeit
Die Kombination von Intelligenz und Vergesslichkeit war für Neurowissenschaftler lange ein Rätsel, weil ein schlechtes Gedächtnis meist verbunden wird mit einem fehlerhaften Mechanismus im Gehirn für das Speichern und Abrufen von Informationen. Aber aus einer Studie im Fachmagazin „Neuron“ geht hervor, dass „Vergessen“ eigentlich ein lebenswichtiger Teil des Lernens ist. Das Ziel unseres Gedächtnisses ist ja nicht nur Fakten zu speichern, sondern einzig und allein um wertvolle Informationen aufzubewahren und auf dieser Basis kluge Entscheidungen zu treffen.
Neues verdrängt Altes in den Hintergrund
Die Wissenschaftler untersuchten jahrelang Daten über Gedächtnis, Gedächtnisverlust und Gehirnaktivität bei sowohl Menschen als Tieren. So zeigt eine Studie an Mäusen, dass neue Gehirnzellen im Hippocampus gebildet werden. Diese Hirnregion ist am Lernprozess von neuen Dingen beteiligt und diese neuen Verbindungen „überschreiben“ gewissermaßen alte Erinnerungen, so dass es schwieriger wird an sie heranzukommen. Ungeachtet der Tatsache, dass wir spezifische Einzelheiten aus der Vergangenheit vergessen, bleibt der große Zusammenhang trotzdem in unserem Gedächtnis verankert. Laut den Wissenschaftler gibt uns das die Möglichkeit, um frühere Erfahrungen zu verallgemeinern, um sie so auf neue Situationen besser anwenden zu können.
Vergessen für die Entscheidungsfindung
Wir bewundern alle den Schlaumeier, der uns immer wieder aufs Neue bei einem Trivial-Pursuit-Spiel überrascht. Aber die Wahrheit ist, dass die Evolution unser Gedächtnis nicht erschaffen hat, um Spiele zu gewinnen, sondern um kluge Entscheidungen zu treffen, die den Menschen zum Überleben befähigt“, sagt Blake Richards, einer der Studienautoren, von der Universität Toronto. „Es ist wichtig, dass das Gehirn unwichtige Details wie veraltete oder irreführende Informationen vergisst und sich anstelle dessen auf die wichtigen Dinge konzentriert, um wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen“, meint Richards. „Wenn das Gedächtnis dauernd widerstreitende Erinnerungen wachruft, ist das Fällen einer Entscheidung sehr viel schwieriger.“
Speichermedien können das Gehirn entlasten

Man darf also ganz beruhigt sein, wenn man mal wieder nicht weiß, wo man seinen Schlüssel, sein Smartphone oder seine Geldbörse zuletzt hingelegt hat. Das Gehirn funktioniert nicht notwendigerweise schlechter, wenn man ab und zu etwas vergisst. Allerdings sollten Sie auch nicht zu sorglos sein. Es ist natürlich nicht Sinn der Sache, plötzlich alles zu vergessen. Allzu viele Gedächtnislücken können auch mal Grund zur Sorge sein. Doch in der heutigen Zeit von Computer und Smartphone ist es nicht länger notwendig, dass unser Gehirn krampfhaft Sachen wie Telefonnummern und Wissenswertes versucht zu speichern. „Durch solche, für unser Gehirn irrelevanten Informationen, in unserem Smartphone zu speichern, wird unser Gehirn befreit, so dass es andere, wichtigere Erinnerungen aufbewahren kann“, so Richards. Richards empfiehlt weiterhin, das Gedächtnis durch regelmäßigen Sport zu „reinigen“. „Wir wissen, dass Bewegung die Zahl der Nervenzellen im Hippocampus steigen lässt. Das bedeutet allerdings, dass einzelne Details aus Ihrem Leben verloren gehen.“ Mit etwas Glück sind das dann vor allem die unangenehmen Dinge, die man sowieso lieber vergisst.

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