Vergesslichkeit
ist – obwohl sie als hinderlich empfinden – nicht immer schlecht.
Wissenschaftler erklären das Phänomen des „zerstreuten
Professors“ und warum wir es brauchen.
Das
stereotype Bild des „zerstreuten Professors“ geht schon auf das
alte Griechenland zurück. Der Philosoph Thales von Milet soll vom
Geschehen am nächtlichen Himmel so gefesselt gewesen sein, dass er
alles um sich herum vergaß und einmal sogar in eine Grube fiel, so
berichtet zumindest eine Anekdote von Plato. Auch einer der weltweit
klügsten Köpfe, Albert Einstein, ist für seine kleinen
Vergesslichkeiten bekannt, wie unter anderem das Kämmen seiner
Haare.
Lernen
braucht Vergesslichkeit
Die
Kombination von Intelligenz und Vergesslichkeit war für
Neurowissenschaftler lange ein Rätsel, weil ein schlechtes
Gedächtnis meist verbunden wird mit einem fehlerhaften Mechanismus
im Gehirn für das Speichern und Abrufen von Informationen. Aber aus
einer Studie im Fachmagazin „Neuron“
geht hervor, dass „Vergessen“ eigentlich ein lebenswichtiger Teil
des Lernens ist. Das Ziel unseres Gedächtnisses ist ja nicht nur
Fakten zu speichern, sondern einzig und allein um wertvolle
Informationen aufzubewahren und auf dieser Basis kluge Entscheidungen
zu treffen.
Neues
verdrängt Altes in den Hintergrund
Die
Wissenschaftler untersuchten jahrelang Daten über Gedächtnis,
Gedächtnisverlust und Gehirnaktivität bei sowohl Menschen als
Tieren. So zeigt eine Studie
an Mäusen, dass neue Gehirnzellen im Hippocampus gebildet werden.
Diese Hirnregion ist am Lernprozess von neuen Dingen beteiligt und
diese neuen Verbindungen „überschreiben“ gewissermaßen alte
Erinnerungen, so dass es schwieriger wird an sie heranzukommen.
Ungeachtet der Tatsache, dass wir spezifische Einzelheiten aus der
Vergangenheit vergessen, bleibt der große Zusammenhang trotzdem in
unserem Gedächtnis verankert. Laut den Wissenschaftler gibt uns das
die Möglichkeit, um frühere Erfahrungen zu verallgemeinern, um sie
so auf neue Situationen besser anwenden zu können.
Vergessen für
die Entscheidungsfindung
„Wir
bewundern alle den Schlaumeier, der uns immer wieder aufs Neue bei
einem Trivial-Pursuit-Spiel überrascht. Aber die Wahrheit ist, dass
die Evolution unser Gedächtnis nicht erschaffen hat, um Spiele zu
gewinnen, sondern um kluge Entscheidungen zu treffen, die den
Menschen zum Überleben befähigt“, sagt Blake Richards, einer der
Studienautoren, von der Universität Toronto. „Es ist wichtig, dass
das Gehirn unwichtige Details wie veraltete oder irreführende
Informationen vergisst und sich anstelle dessen auf die wichtigen
Dinge konzentriert, um wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen“,
meint Richards. „Wenn das Gedächtnis dauernd widerstreitende
Erinnerungen wachruft, ist das Fällen einer Entscheidung sehr viel
schwieriger.“
Speichermedien
können das Gehirn entlasten
Man
darf also ganz beruhigt sein, wenn man mal wieder nicht weiß, wo man
seinen Schlüssel, sein Smartphone oder seine Geldbörse zuletzt
hingelegt hat. Das Gehirn funktioniert nicht notwendigerweise
schlechter, wenn man ab und zu etwas vergisst. Allerdings sollten Sie
auch nicht zu sorglos sein. Es ist natürlich nicht Sinn der Sache,
plötzlich alles zu vergessen. Allzu viele Gedächtnislücken können
auch mal Grund zur Sorge sein. Doch in der heutigen Zeit von Computer
und Smartphone ist es nicht länger notwendig, dass unser Gehirn
krampfhaft Sachen wie Telefonnummern und Wissenswertes versucht zu
speichern. „Durch solche, für unser Gehirn irrelevanten
Informationen, in unserem Smartphone zu speichern, wird unser Gehirn
befreit, so dass es andere, wichtigere Erinnerungen aufbewahren
kann“, so Richards. Richards empfiehlt weiterhin, das Gedächtnis
durch regelmäßigen Sport zu „reinigen“. „Wir wissen, dass
Bewegung die Zahl der Nervenzellen im Hippocampus steigen lässt. Das
bedeutet allerdings, dass einzelne Details aus Ihrem Leben verloren
gehen.“ Mit etwas Glück sind das dann vor allem die unangenehmen
Dinge, die man sowieso lieber vergisst.
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