Sonntag, 10. September 2017

Heilpflanze Stevia: sie kann nicht nur süßen


Stevia ist nicht nur Zuckerersatz, sondern auch Heilpflanze. Vor allem ihre antibakterielle Wirkung macht sie als alternatives Antibiotikum interessant.



Schon seit Hunderten von Jahren verwenden einheimische Völker in Brasilien und Paraguay die Blätter der Stevia-Pflanze als Süßungsmittel. Vor allem durch die Guaraní-Indianer sind die einzigartigen Vorteile von Stevia oder ka‘a he‚ē (Süßkraut), wie die Pflanze in ihrer eigenen Sprache heißt, bekanntgeworden. Diese einheimischen Völker kannten die Blätter des wilden Steviastrauches aus der Amambay-Bergregion und verwendeten sie als Tee, medizinische Säfte oder kauten sie einfach wegen ihres angenehm süßen Geschmacks. 1887 wurde Stevia durch einen Italiener namens Dr. Moisés Santiago Bertoni, Direktor der Landwirtschaftsschule in Asuncion in Paraguay, der Welt vorgestellt. Aber erst 1931 kam es zur kommerziellen Vermarktung von Stevia. Wichtig dafür war, dass im selben Jahr zwei französische Chemiker Stevioside isolieren konnten. Inzwischen wird Stevia weltweit als Süßungsmittel verwendet und auch – allerdings weniger häufig – für medizinische Indikationen.

Stevia, die nicht ganz unbekannte Heilpflanze

Stevia ist innerhalb der Medizin keine unbekannte Pflanze. In Paraguay verordnen Ärzte Stevia-Tee bei Diabetes und in Brasilien erhalten Diabetiker Stevia-Kapseln zur Normalisierung des Blutzuckers. Aber Stevia wird auch zur Regulierung der Verdauung und zur Leistungssteigerung verabreicht. Das weiße Stevia-Pulver scheint sogar Karies vorzubeugen. Und in Asien schätzt man Tee aus Steviablättern wegen seiner Anti-Aging-Wirkung. Bis jetzt wurden mehr als einhundert verschiedene Substanzen in Stevia entdeckt. Steviablätter enthalten acht Glycosid-Terpene: Steviosid, Rebaudioside A, B. C, D und E sowie die Dulcoside A und C. Die wichtigsten Glykoside sind Steviosid und Rebaudiosid A. Sie sind für den besonders süßen Geschmack verantwortlich. Darüber hinaus enthalten die Blätter auch Betakarotin, Niacin (Vitamin B 3), Riboflavin (Vitamin B 2) und Thiamin (Vitamin B 1). Stevia wird in brasilianischen Arzneibüchern beschrieben; der verwendete Pflanzenteil ist das (getrocknete) Blatt, das mindestens 12 Prozent der Gesamtkalorien und vier Prozent Stevioside enthalten muss. Durch seine besonderen Eigenschaften entwickelte sich Stevia in den letzten Jahren immer mehr zum festen Bestandteil in Nahrungs- und Getränkeprodukten. Stevia soll Lebensmitteln und Erfrischungsgetränken mehr Geschmack und Süße bei weniger Kalorien verleihen.

Steviose

Momentan werden hauptsächlich zwei Substanzen aus Stevia gewonnen: Steviosid und Rebaudiosid A. Sie werden auch Steviolglycosid oder E 960 genannt, die offizielle Kennziffer, die sie als Lebensmittelzusatzstoff erhalten haben. Steviolglycoside sind etwa 200 bis 300 Mal süßer als Zucker, aber ohne die entsprechenden Kalorien. Seit Dezember 2011 sind Stevia-Extrakte innerhalb der Europäischen Union als Süßstoff in Lebensmitteln zugelassen. Von Beginn an bestand Interesse an Steviosid, dem Hauptbestandteil der acht verschiedenen Glycoside in der Stevia-Pflanze. Aber in den letzten Jahren erhält auch Rebaudiosid A, der kleine, aber süßere Bruder des Steviosid immer mehr Aufmerksamkeit. Vorteil des Rebaudiosid A ist, dass dieses Glykosid einen weniger bitteren Nachgeschmack hat. Wir kennen Steviosid inzwischen als weißes Pulver, das aus der Stevia-Pflanze gewonnen wird. Leider finden sowohl amerikanische als auch asiatische Wissenschaftler Stevia noch nicht gut genug und suchen nach Methoden, um den Anteil Steviosid durch genetische Veränderungen zu erhöhen.

Medizinische Indikationen

Stevia reguliert Blutdruck und Blutzucker

Es gibt einige klinische Studien, die berichten, dass das phytochemische Steviosid den Blutdruck bei Patienten mit leicht erhöhtem Blutdruck senkt und den Blutzucker bei Typ 2-Diabetikern. Erst im Februar 2017 haben Wissenschaftler der Katholischen Universität im belgischen Löwen herausgefunden, wie Stevia den Blutzuckerspiegel kontrolliert. Sie entdeckten, dass Stevia ein Eiweiß anregt, dass essenziell für unser Geschmackserlebnis ist und für die Ausschüttung von Insulin nach einer Mahlzeit. Es verstärkt die Funktion der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse und die Geschmackswahrnehmung. Stevia veranlasst, dass bestimmte Gene für die Süßrezeptoren ausgeschaltet werden. Mit anderen Worten: Es dreht sich alles um den Geschmack. Die Wahrnehmung von Geschmack passiert in den Geschmacksknospen in unserer Zunge. Diese Geschmackspapillen enthalten Rezeptoren, spezialisierte Eiweiße, die Aromen in Nahrung und Getränken erkennen können. Wenn Geschmacksstoffe die Geschmacksrezeptoren berühren, öffnet sich eine mikroskopisch kleine Schleuse namens TRPM5 in der Geschmackspapille. Dadurch entsteht ein elektrisches Signal in der Papille, das über die Nervenbahnen zum Gehirn gelangt, wo es in ein Geschmackserlebnis umgewandelt wird. Und Stevia tut das auf eine ganz besondere Weise. Wenn TRPM5 stimuliert wird, produziert die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin. Das bewirkt eine bessere Kontrolle des Blutzuckerspiegels und kann vielleicht der Entwicklung eines Diabetes vorbeugen.

Stevia wirkt antibakteriell

Einer der Gründe, warum Stevia in der letzten Zeit oft untersucht wurde, ist seine chemische Zusammensetzung. Stevia eignet sich daher besonders gut als Grundsubstanz für die Extraktion und Produktion von Nahrungsmittelprodukten. Studien richten sich darauf, die antimikrobiellen Eigenschaften von Stevia-Extrakt auf Krankheitserreger und Lebensmittel vergiftende Bakterien zu testen. Die Wirkung von Stevia-Extrakt auf grampositive und gramnegative Bakterien wurde ausführlich untersucht. Besonders auf Bacillus cereus, Lactobacillus plantarum, Leuconostoc mesenteroides, Salmonella typhimurium und Salmonella enterica zeigt Stevia einen hemmenden und keimtötenden Effekt. Forschungsergebnisse einer Studie demonstrierten, dass Stevia-Extrakt das Wachstum von Krankheitserregern und Fäulnisbakterien auf Lebensmitteln verhindern kann. Eine andere indische Studie aus dem Jahr 2015 untersuchte, ob die antibakterielle Aktivität von Stevia auf bestimmte Bakterien wie Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa, E. coli, Klebsiella pneumoniae und Proteus vulgaris ausreichend war. Die Ergebnisse kamen zu dem Schluss, dass Stevia antibakteriell wirkt und darum auch als Arzneimittel verwendet werden kann.

Die letzte Studie des Department of Microbiology am Wilson College im indischen Mumbai untersuchte die antimikrobielle Aktivität von Stevia gegen die antibiotikaresistenten ESBL-produzierenden Harnwegsbakterien. Stevia hat demnach das Potenzial, um als alternative Therapie bei Patienten mit Harnwegsinfektionen eingesetzt zu werden.

Stevia bekämpft Borrelien

Es gibt verschiedene Pflanzen – zum Beispiel die Zistrose (Cistus incanus) – die äußerst zielgerichtet gegen Borrelien und ihren Biofilm vorgehen. Die offensichtliche Frage ist nun, wie Stevia den sehr resistenten Biofilm beeinflussen kann. Wie bereits gesagt, sind die antibakteriellen Eigenschaften von Stevia bewiesen und spielt das Glykosid Steviosid dabei eine Rolle. Mehr Klarheit über die Wirkung von Stevia auf Borrelien und ihren Biofilm ergibt sich auch aus einer aktuellen Studie der Universität von New Haven. Für diese Studie wurden verschiedene Stevia-Extrakte untersucht und mit der Wirkung der Antibiotika Doxycyclin, Cefoperazon und Daptomycin auf das Lyme-Bakterium Borrelia burgdorferi verglichen. Dabei konnten Stevia-Extrakte auf Alkohol-Basis die Erreger besser abtöten als in Wasser gelöstes Pulver oder reines Steviosid.

Stevia durchdringt den Biofilm

Das Ergebnis der angegebenen der Studie zeigte auch einen deutlichen Unterschied zwischen Stevia und den drei Antibiotika, was die Wirkung auf den Biofilm betrifft. Das ist insofern nicht verwunderlich, betrachtet man die bekannten Informationen. Man weiß, dass bei der Lyme-Borreliose die Gabe von Antibiotika die Therapie der ersten Wahl ist. Aber man weiß inzwischen auch, dass in den meisten Fällen, die Bakterien gegen die Antibiotika resistent werden oder bereits sind und nach der Behandlung dadurch ein Rückfall auftritt. Es kommt immer häufiger vor, dass Mediziner feststellen müssen, dass Krankheiten wie die Lyme-Borreliose mit den bekannten Therapien nur noch minimale oder unvollständige Ergebnisse erzielen. Eine der Ursachen dafür ist, dass die Borrelien einen sogenannten Biofilm als Schutzschild bilden können. Die meisten Medikamente und Arzneimittel können diesen Schutzschild nur sehr schwer durchdringen. Man geht davon aus, dass die Borrelien und ihre Co-Infektionen sich unter diesem klebrigen Biofilm verstecken, bis es sicher genug ist, um wieder zu erscheinen.

Was ist ein Biofilm?

Ein Biofilm ist eine Schicht von Mikroorganismen, umgeben von selbstproduziertem Schleim, die sich an einer Oberfläche anheften. Diese Schleimschicht wird auch ECM, extrazelluläre Matrix oder Glykokalix genannt. Der Begriff wird für Strukturen verwendet, die Teil eines biologischen Gewebes sind, aber sich außerhalb der Zellen befinden.

Antibiotika können den Biofilm stärken

Eine weitere Ursache, für die zunehmend Beweise gefunden werden, ist, dass bestimmte Antibiotika die Bildung eines bakteriellen Biofilms geradezu fördern. Es ist sogar noch beunruhigender: Wissenschaftler entdeckten, dass Antibiotika den Borrelien-Biofilm sogar noch stärken. Die dritte mögliche Ursache für das Versagen der Behandlung ist, dass nachdem ein Antibiotikum den Biofilm durchdringt, eine Anzahl von Zellen namens „Persister“ zurückgelassen werden. Persister sind schlichtweg Zellen, die den ersten Angriff eines Antibiotikums überleben und den Biofilm langsam wieder aufbauen können. Das ist vor allem der Fall bei Menschen mit einem schwachen Immunsystem.

Stevia stört den Aufbau des Biofilms

Die Studie mit dem Stevia rebaudiana-Extrakt in einer Konzentration von 1,2 μg/ml zeigte deutlich, dass das Wachstum und die Lebensfähigkeit des Biofilms um 40 Prozent abnahm. Die auf der Hand liegende Frage ist, wie Stevia den sehr resistenten Borrelien-Biofilm beeinflussen kann, ist noch nicht vollständig geklärt. Vermutet wird eine ähnliche Wirkung wie bei dem natürlichen Süßstoff Xylit. Xylit ist ein Zuckeralkohol, der als Zuckeraustauschstoff eingesetzt wird. Bekannt ist, dass er einen Antiplaque-Effekt besitzt und die Bildung von Biofilmen stört und ihr Wachstum erheblich bremst. Darum geht man davon aus, dass Stevia als Zuckerderivat ähnlich funktioniert und durch seine antimikrobielle Wirkung, die Biofilmstruktur stören kann.

Stevia als Therapeutikum

Man weiß schon seit einiger Zeit, dass die Steviapflanze viele Gesundheitsvorteile in sich trägt. Aber nicht alle Stevia-Extrakte sind gleich wirksam, weil sowohl der Anbau als auch die Produktionsverfahren die wirksamen Bestandteile beeinflussen. Wie so oft in der Phytotherapie muss man, wenn man die Vorteile einer Pflanze nutzen will, sie in der wirksamsten Form anwenden. Im Falle von Stevia ist das der Blattextrakt. Dieser Extrakt hat viele Komponenten mit bekannten antimikrobiellen Eigenschaften gegen viele Krankheitserreger. Es ist deshalb ein wertvolles Produkt innerhalb der therapeutischen Praxis zur Unterstützung unterschiedlicher Beschwerden. Aber in jedem Fall hat Stevia einen festen Platz als Teil der Behandlung einer Lyme-Borreliose.



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