Einsamkeit
und soziale Isolation stellen eine größere Gesundheitsgefahr dar
als Übergewicht, meinen Forscher. Und die Auswirkungen werden noch
zunehmen.
Übergewicht
wird international als eines der gesundheitlichen Hauptprobleme
angesehen. Weltweit sind mehr als zwei Milliarden Menschen
übergewichtig oder sogar fettleibig. In Deutschland haben zwei
Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen zu viele Kilos auf den
Rippen. Ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung ist sogar bereits
fettleibig. Doch neue Forschungen decken eine noch größere
Gesundheitsgefahr auf: Einsamkeit und soziale Isolation.
Soziale
Verbundenheit ist ein Grundbedürfnis
„Mit
anderen sozial verbunden zu sein wird im Allgemeinen als
Grundbedürfnis eines Menschen angesehen – entscheidend für sowohl
das Wohlbefinden als auch für das Überleben,“ erklärt die
Psychologin und Co-Autorin der Studie Prof. Julianne Holt-Lunstad von
der Brigham Young University in Provo im US-Bundesstaat Utah. Doch
die Zahl der Erwachsenen, die alleine leben, steigt. Der Trend,
sozial weniger vernetzt zu sein und mehr Einsamkeit zu erfahren,
nimmt ständig zu.
Zwei
Meta-Analysen offenbaren, dass Einsamkeit und soziale Isolation das
Risiko für einen vorzeitigen Tod um bis zu 50 Prozent erhöht. Prof.
Julianne Holt-Lunstad präsentierte zusammen mit ihren Kollegen die
Ergebnisse
beim 125. Jahreskongress der American Psychological Association (APA)
in Washington.
Einsamkeit
und soziale Isolation sind nicht dasselbe
Obwohl
die Begriffe Einsamkeit und soziale Isolation austauschbar verwendet
werden, bestehen zwischen Beiden bemerkenswerte Unterschiede. Soziale
Isolation wird als Mangel an Kontakten zu anderen Personen definiert,
während Einsamkeit das Gefühl verkörpert, emotional nicht mit
anderen verbunden zu sein. Im Wesentlichen bedeutet das, eine Person
kann sich auch in der Gegenwart von anderen Menschen einsam fühlen.
Laut einer Umfrage
aus
2016 unter mehr als 2.000 amerikanischen Erwachsenen haben sich 72
Prozent irgendwann in ihrem Leben schon mal einsam gefühlt. 31
Prozent der Befragten verspürten sogar mindestens einmal wöchentlich
Einsamkeit. Sowohl Einsamkeit als auch soziale Isolation werden mit
einem schlechten Gesundheitszustand in Verbindung gebracht. Eine
Studie
aus dem vergangenen Jahr beschrieb eine mögliche Verbindung zur
Alzheimer-Krankheit, eine weitere Studie
fand einen Zusammenhang von sozialer Isolation und einer geringeren
Überlebensrate bei Brustkrebs-Patientinnen. Für die aktuelle Studie
versuchten Prof. Holt-Lunstad und ihr Team zu bestimmen, wie
Einsamkeit und soziale Isolation das Risiko für einen frühen Tod
beeinflusst.
Verlässliche
Beweise, dass Einsamkeit tötet
Die
Forschungsergebnisse basieren auf zwei Meta-Analysen von Studien, die
einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit, sozialer Isolation und
Sterblichkeit untersucht haben. Die erste Meta-Analyse umfasste mehr
als 300.000 Erwachsene in 148 Studien, die zweite Meta-Analyse
bestand aus 70 Studien mit mehr als 3,4 Millionen Erwachsenen. Die
Daten der ersten Meta-Analyse offenbarten, dass das Risiko für einen
vorzeitigen Tod bei Erwachsenen um 50 Prozent geringer ausfällt,
wenn sie mehr Verbindungen zu anderen Personen haben. Anhand der
zweiten Meta-Analyse stellten die Wissenschaftler fest, dass
Einsamkeit, soziale Isolation und Alleinleben alle mit einem erhöhten
Risiko für einen frühen Tod verbunden waren. Das Risiko war sogar
ähnlich groß oder sogar größer als ein vorzeitiger Tod durch
Übergewicht oder andere bekannte Risikofaktoren.
„Einsamkeits-Epidemie“
droht
Prof.
Holt-Lunstad findet diese Ergebnisse besonders besorgniserregend,
angesichts der Tatsache, dass die alternde Bevölkerung zunimmt.
„Tatsächlich machen inzwischen viele Nationen weltweit darauf
aufmerksam, dass wir einer „Einsamkeits-Epidemie“ ins Gesicht
sehen müssen“, fügt sie hinzu. „Die Herausforderung ist nun,
was wir dagegen tun können.“ Prof. Holt-Lunstad glaubt, dass mehr
Ressourcen in die Bekämpfung der Einsamkeit bei Einzelpersonen und
innerhalb der Gesellschaft fließen müssen. Zum Beispiel schlägt
sie vor, dass mehr auf das Einüben sozialer Fähigkeiten bei
Schulkindern geachtet wird und Ärzte bei ihren Patienten
standardmäßig auch das Vorhandensein sozialer Kontakte im Auge
behalten. Weiter sagt Prof. Holt-Lunstad, dass ältere Erwachsene
sich nicht nur auf die finanziellen Änderungen im Ruhestand
vorbereiten sollten, sondern ebenso auf die Änderungen im sozialen
Umfeld, denn oft hängen viele der sozialen Kontakte mit dem
Arbeitsplatz zusammen. Stadtplaner sollten bei ihren Entwürfen an
Orte und Räumlichkeiten denken, die gemeinsam genutzt werden und zu
Treffen und Kommunikation einladen, wie Freizeitzentren oder
Stadtparks.
Wie
Einsamkeit das Gehirn beeinflusst
Einsamkeit
aktiviert die Regionen im Gehirn, die Bedrohungen überwachen,
berichtet eine neue Studie.
Das macht Menschen, die sozial isoliert sind, härter und
abweisender: als eine Form der Selbsterhaltung. Es kann einsame
Menschen an den Rand der Gesellschaft drängen. Professor John
Cacioppo, ein Experte auf dem Gebiet der Einsamkeit, berichtet
darüber im Rahmen einer früheren Studie und sagt: „Wir entdeckten
ein außergewöhnliches Muster der Ausbreitung, das Menschen an den
Rand des sozialen Netzwerks führt, wenn sie einsam werden. Dort
haben Menschen weniger Freunde und die Einsamkeit führt dazu, dass
sie die wenigen Verbindungen auch noch verlieren. Diese sich
gegenseitig verstärkenden Effekte bedeuten, dass unsere soziale
Struktur an den Rändern ausfranst, wie Garn, das sich am Ende eines
Häkelpullovers loslöst.“
Einsamkeit
macht sensibler für soziale Bedrohungen
Die
neue Studie von Prof. Cacioppo und seinem Team verglich die Gehirne
von einsamen und nicht einsamen Menschen mit Hilfe eines
Elektrokardiogramms. Den Teilnehmern wurden eine Reihe von Wörtern
gezeigt, die sich darin unterschieden, wie sozial und positiv sie
waren. Die Gehirne der einsamen Personen entdeckten dabei schneller
Worte, die mit sozialer Bedrohung - beispielsweise „feindselig“ –
verbunden waren, als Personen, die nicht unter Einsamkeit litten.
Allerdings suchten die Einsamen auch insgesamt mehr nach Worten mit
negativen Assoziationen. Das könnte aber ein uralter
Verteidigungsmechanismus zum Überleben sein, argumentieren die
Studienautoren: „Fische am Rande einer Gruppe werden eher von
Feinden angegriffen; nicht, weil sie die langsamsten oder schwächsten
sind, sondern weil sie sich leichter isolieren und jagen lassen.
Daraus hat sich das Verhalten entwickelt, dass Fische ins Zentrum des
Schwarms schwimmen, wenn Raubtiere angreifen.“
Dahinter
verbirgt sich eine Evolutionstheorie, sagen die Forscher: „Am Rande
einer sozialen Gruppe zu stehen, ist nicht nur traurig, sondern
geradezu gefährlich. Unser Evolutionsmodel über die Auswirkungen
wahrgenommener sozialer Isolation (Einsamkeit) auf das Gehirn sowie
eine wachsende Anzahl von Verhaltensforschungen deuten an, dass
Einsamkeit kurzfristig die Selbsterhaltung fördert, einschließlich
einer erhöhten indirekten Wachsamkeit gegenüber sozialen
Bedrohungen.“
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