Werden die Essgewohnheiten, der Geschmack, die Vorlieben vom Unterbewusstsein gesteuert? Darum geht es in der Gastrophysik, der Wissenschaft, die die Faktoren untersucht, die unser Essverhalten beeinflussen.
Denken Sie an die köstliche Tapenade, eine Olivenpaste, die Sie auf einem kleinen Markt in Südfrankreich gekauft haben. Schon der erste Bissen ist eine Offenbarung. Später, als Sie auf der Terrasse Ihrer Ferienwohnung in der warmen Abendsonne sitzen, entpuppt sich dieser Spontankauf als i-Tüpfelchen zum Aperitif. Und so denken Sie sich: „Bevor wir zurück nach Hause fahren, muss ich unbedingt noch so ein Glas Tapenade kaufen, denn ich will dieses Stückchen Provence gerne mit nach Hause nehmen.“
Die Umgebung beeinflusst das Geschmackserlebnis
Einige Monate später scheint ein Abend mit Freunden der ideale Zeitpunkt zu sein, um mit ihnen Ihre wunderbare Entdeckung zu teilen. Doch was dann folgt, ist eine Enttäuschung: Die Magie ist völlig verflogen. Die herrliche Ferien-Tapenade schmeckt wie eine stinknormale Olivenpaste. Denn obwohl es sich um dasselbe Produkt handelt, ist die Umgebung anders und damit auch das Geschmackserlebnis. Haben Sie bei diesem Beispiel ein Déjà-vu? Dann sind Sie, wie viele andere vor Ihnen, Zeuge eines gastrophysikalischen Phänomens geworden! Charles Spence, Professor für experimentelle Psychologie am Sommerville College in Oxford, führte den Begriff Gastrophysik ein. Seit Jahren analysiert er die Gesamtheit der Faktoren, die unsere multisensorische Erfahrung beim Essen und Trinken beeinflussen.
Viel mehr als nur Geschmacksknospen
Für Charles Spence ist Essen - und der daraus resultierende Genuss - viel mehr als nur eine Frage von Nahrungsaufnahme und Geschmacksknospen. Appetit, Anziehung oder Abscheu gegenüber bestimmten Lebensmitteln und sogar Geschmack und Geruch werden demnach durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, die mit dem Nahrungsmittel selbst und der Umgebung zu tun haben. Ihr Gehirn erfasst eine Vielzahl von Daten, die sich durch Interaktion unbewusst gegenseitig verstärken oder aufheben können.
„Wo auch immer Sie essen - ob in einem zufällig gewählten Bistro oder in einem Sternerestaurant - die Atmosphäre, die Aussicht, die Geräusche, der Geruch, ja sogar der Stuhl, auf dem Sie sitzen, oder die Größe und Form des Tisches, all das beeinflusst auf sehr subtile Weise, wie Sie die Dinge erleben und wie Sie sich verhalten“, erklärt der britische Psychologe. Das mag übertrieben erscheinen, aber seine Argumentation wird durch eine ganze Reihe von (manchmal lustigen) wissenschaftlichen Studien gestützt, die er vor zwei Jahren in einem Buch zusammengefasst hat.
Das Gehirn als Störsender
Ihre Sinne spielen natürlich eine große Rolle beim Esserlebnis, aber sie bestimmen bei weitem nicht alles. Denn selbst wenn Sie versuchen, Ihr Gehirn auszuschalten, bleibt es dennoch voreingenommen und stört das Geschmackserlebnis. So wird zum Beispiel eine teurere Flasche Wein immer als besser wahrgenommen, es sei denn, der Wein ist völlig ungenießbar. Und dann ist da noch das Beispiel des bekannten englischen Gastronomen, der Ende der 1990er Jahre wegen seines Krabbenbiskuits mit Eis heftig unter Beschuss geriet. Feinschmecker hielten es - zu Unrecht - für zu salzig, weil ihr Unterbewusstsein Eis automatisch mit einem süßen Geschmack assoziierte.
Kleine Umgebungsveränderungen ändern das Verhalten
Die Nahrungsmittelindustrie hat diesen unbewussten Prozess der Anziehung und Abstoßung bereits ausführlich untersucht und daraus praktische Lehren gezogen. Ein weiteres Beispiel: Indem man bestimmte Produkte blau einfärbte, gelang es Getränkeherstellern, ihren Umsatz ordentlich zu steigern. Blau kommt von Natur aus beinahe nicht vor in Nahrung und weckt deshalb automatisch die Neugier. „Hier wird eine Marketingtechnik namens Nudging eingesetzt“, sagt Oliver Luminet, Professor für Psychologie an der Katholischen Universität Lüttich. „Der Zweck ist, Menschen zu stimulieren, Ihr Verhalten zu ändern, indem sie kleine Dinge in ihrer Umgebung verändern, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Deshalb ist es auch so schwer, den Versuchungen zu widerstehen, wenn man im Supermarkt einkauft!“
Subtile Veränderung
Und nun die gute Nachricht: Obwohl die Nudging-Technik häufig zur Werbung für ungesunde Produkte eingesetzt wird, kann sie auch dazu verwendet werden, den Konsum gesunder Lebensmittel zu fördern. Ein Team von Forschern der Katholischen Universität Lüttich hat dies kürzlich eindrucksvoll bewiesen, indem das Team die Einrichtung der Universitäts-Kantine anpasste und so den Verkauf von Schwarzwurzelsuppe, einem Superfood-Gericht, spektakulär steigern konnte.
„Nudging hat eine viel größere Wirkung auf Menschen als reine Information: Dinge zu erklären, reicht nicht. Denn selbst wenn Menschen die Absicht haben, ihr Verhalten zu ändern, werden nur sehr wenige aktiv. Aber wenn man sie unbewusst zu einer Veränderung anregt, sorgt das für beeindruckende Ergebnisse. Es genügte zum Beispiel, die Schwarzwurzelsuppe als Empfehlung des Chefkochs ins Rampenlicht zu rücken, oder besser noch, die Leute probieren zu lassen, um den Konsum in die Höhe schnellen zu lassen.“
Lässt sich das auch zu Hause anwenden? Vielleicht ja, um zum Beispiel Vielesser zu bremsen. Denn laut dem Buch von Charles Spence isst man 30 Prozent weniger, wenn man die Mahlzeit auf einem kleinen, farbigen Teller serviert, dessen Farbe im Kontrast steht zur Farbe des Essens und der Tischdecke. Probieren Sie es einfach mal aus!
Welche Faktoren beeinflussen das Essen?
Das Sehen
Kontrast beeinflusst den Appetit. Man isst 20 Prozent weniger, wenn die Farbe des Essens und des Tellers im Kontrast stehen, und 10 Prozent weniger, wenn sich der Farbton des Tellers stark von dem des Tischtuchs unterscheidet. Im Allgemeinen isst man von einem weißen Teller eine größere Menge als von einem bunten Teller. Bei Menschen, die an Demenz oder Alzheimer erkrankt sind, hilft darum gerade ein bunter Teller, der Unterernährung entgegenzuwirken, die mit diesen Krankheiten einhergeht.
Das gilt auch für die Größe. Bei gleichen Portionen isst man von einem kleinen Teller - oder besser noch aus einer kleinen Schüssel - weniger als von einem großen Teller. Und in einem Restaurant glaubt man, dass man mehr für sein Geld bekommt, wenn die Speisen auf dem Teller unordentlich verteilt sind, auch wenn in Wirklichkeit nicht mehr Essen darauf liegt.
Farbe verändert den Geschmack. Bei gleicher Zuckermenge schmeckt ein rosarotes Dessert süßer als ein grünes Dessert. Und eine Erdbeermousse sieht auf einem weißen Teller viel appetitlicher aus als auf einem schwarzen Teller. Und sollten Sie ein blaues Stück Fleisch oder Fisch serviert bekommen, würden Sie wahrscheinlich würgen, weil wir die Farbe mit Fäulnis verbinden.
Unbewusst assoziieren wir bestimmte Formen mit Geschmacksrichtungen. Eine runde Form erfahren wir zum Beispiel als weich und cremig, während eckige und spitze Formen mit salzig, sprudelnd oder bitter verbunden werden. Alleine schon durch das Spiel mit der Form des Tellers können Sie die Eigenschaften eines Gerichtes verstärken oder abschwächen.
Das Gehör
Geräusche verstärken oder unterdrücken bestimmte Gerüche. Eines der am häufigsten bestellten Getränke auf einem Linienflug ist Tomatensaft. Das liegt am Lärm der Düsentriebwerke, der Umami (den Geschmack von Fleischbrühe) angenehmer macht, aber genau das Gegenteil bei Süße bewirkt. Und je mehr die Verpackung der Tiefkühlpommes beim Öffnen knistert, desto besser scheinen die Pommes frites zu schmecken!
Musik beeinflusst den Appetit und die Wahrnehmung. Musik, die auf das Essen abgestimmt ist, das Ihnen serviert wird - zum Beispiel asiatische Musik in einem chinesischen Restaurant - verstärkt die Authentizität. Klassische Musik verleiht Gerichten einen Hauch von Raffinesse. Und Akkordeonmusik scheint den Absatz französischer Weine ordentlich anzukurbeln.
Der Geruchsinn
Das Vorspiel des Geschmacks. Der Duft eines Gerichtes lässt einem nicht nur das Wasser im Mund zusammenlaufen, sondern bereitet das Gehirn auch auf den Geschmack des Essens vor. Nichts zu riechen, bedeutet also weniger Genuss. Und der Kaffee, den man aus einem Plastikbecher mit Deckel trinkt, schmeckt weniger aromatisch als aus einer Tasse. Der Grund ist einfach, dass der Deckel das Aroma zurückhält.
Der Tastsinn
Die Bedeutung von Besteck. Das berühmte dänische Sternerestaurant Noma experimentierte einmal mit Holzbesteck, aber damit fühlten die Kunden sich unwohl. Warum? Unbewusst verbindet man schweres Besteck mit hochwertigen Lebensmitteln. Andererseits hat eine Studie mit 2.000 Personen gezeigt, dass Männer beim ersten Date mehr von Frauen angetan sind, die mit den Händen essen (Pizza, Pommes frites …) als mit Besteck. Und wussten Sie, dass man man zum Beispiel mit Stäbchen langsamer isst als mit Messer und Gabel?
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