Wie viele Freunde braucht ein Mensch wirklich? Mehr ist nicht unbedingt besser, glauben Experten.
Mit wie vielen Menschen kann man befreundet sein? Braucht man eine bestimmte Anzahl? Fünf Fragen, um Freundschaften besser zu verstehen.
150 soziale Bindungen kann das Gehirn eingehen
Das menschliche Gehirn ist in der Lage, 150 soziale Bindungen einzugehen, wie der britische Evolutionspsychologe Robin Dunbar herausgefunden hat. Dazu gehören Familie, Freunde und Bekannte.
Im Podcast „Am I normal?“, was so viel bedeutet wie: „Bin ich normal?“, ist die britische Datenjournalistin Mona Chalabi schockiert über diese Zahl. Sie fühlt sich einsam und fragt sich, ob sie wohl „genug“ Freunde hat. Sie entdeckt, dass Dunbars 150 soziale Beziehungen aus verschiedenen „Schichten“ bestehen: Die erste besteht im Durchschnitt aus 1,5 Personen (oft der feste Partner und die Eltern), gefolgt von fünf intimen Freunden, 15 besten Freunden, 50 guten Freunden und schließlich allen Bekannten. Als Chalabi zu zählen beginnt, stellt sie fest, dass ihr Problem hauptsächlich in der dritten Schicht liegt: sie hat wenig gute Freunde, mit denen sie etwas unternehmen kann.
„Wir wissen aus der Forschung, dass die Qualität von Freundschaft wichtiger ist als die Quantität“, sagt Psychologieprofessor Paul van Lange. „Jeder Mensch braucht ein paar gute Freunde, aber wir werden uns nicht viel besser fühlen, wenn mehr Freunde dazu kommen.“
Mit dem einen Freund geht man gerne in die Kneipe, den anderen ruft man nach einem Streit mit dem Partner an. Wie viele Arten von Freundschaften gibt es? Und ist die eine wertvoller als die andere?
Laut dem griechischen Philosophen Aristoteles gibt es drei verschiedene Arten von Freundschaften: Freundschaft, die auf Nutzen beruht (der Nachbar, der gut grillen kann), Freundschaft, die in die Kategorie „Vergnügen“ fällt (der Freund, mit dem man gerne etwas trinken geht), und Freundschaft mit jemandem, den man für einen guten Menschen hält. Die letzte Kategorie sah Aristoteles als „höchste“ Form der Freundschaft an.
„Mit diesen Freunden geht man in die Tiefe und führt bedeutungsvolle Gespräche“, erklärt der Philosoph Paul van Tongeren, der das Buch „Doodgewone vrienden –
Nadenken over vriendschap“ (Stinknormale Freunde – Gedanken über Freundschaft) schrieb. „Diese Form der Freundschaft wird als die dauerhafteste angesehen. Ein guter Mensch wird nicht so schnell zu einem schlechten Menschen. Wohingegen Nutzen und Vergnügen labile Motive sind, um jemandes Gesellschaft zu suchen. Denn sobald der Dienst nicht mehr erbracht oder das Vergnügen nicht mehr geboten wird, ist die Beziehung bedroht.“
Ist eine Freundschaft weniger wert, wenn man jemanden hauptsächlich besucht, um gemeinsam Party zu machen? „Das muss nicht so sein“, sagt Paul van Lange. „Wir wissen aus Studien, dass gemeinsames Lachen als sehr wichtig angesehen wird.“ Was Freundschaft von den meisten Liebesbeziehungen unterscheidet, ist die Tatsache, dass Freunde oft komplementär sind, sich also ergänzen. „Nicht alle Bedürfnisse müssen von einem einzigen Freund befriedigt werden.“
Warum ist es schwieriger, im höheren Alter neue Freunde zu finden?
Die engsten Freundschaften entstehen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren, erzählt Van Tongeren. „Es ist eine identitätsbildende Phase: Man wird zu der Person, die man sein möchte, und geht Beziehungen ein, die dazu passen.“
Eine weitere wichtige Komponente, um Freunde zu finden, ist Aufgeschlossenheit. In der Schul- und Studienzeit sind wir offen dafür, neue Leute kennenzulernen. Bei Menschen in den Dreißigern mit Partner, Beruf und Kindern ist das weniger der Fall. Neue Freundschaften einzugehen, ist also nicht nur eine Frage des Angebots an netten Menschen, sondern auch eine Frage, ob man das Bedürfnis hat, sie zu sehen.
Wie vermeidet man, dass Freundschaft in „soziale Buchführung“ ausartet: Ich gab ein großes Geschenk und nun verlange ich ein ähnliches Geschenk zurück. Oder: sie lud mich zu ihrer Hochzeit ein, also muss ich sie auch einladen.
Laut Aristoteles wird wahre Freundschaft durch das Konzept des „gegenseitigen Wohlwollens“ definiert. Kurz gesagt, es bedeutet, sich gegenseitig alles Gute zu wünschen. Klingt logisch, aber versuchen Sie mal, das Gleichgewicht zu halten. In dem Moment, in dem man echtes Wohlwollen zeigt, in dem Sinne, dass man das Beste für den anderen will, ohne Rücksicht auf sich selbst, darf man nicht zu habgierig sein und das Gleiche im Gegenzug erwarten. Wenn Sie als Freund auf Gegenseitigkeit setzen – wenn Sie zum Beispiel wollen, dass Ihr Freund oder Ihre Freundin Ihrer Geschichte genauso aufmerksam zuhört, wie Sie seiner oder ihrer zugehört haben – dann leidet das Wohlwollen darunter. „In der philosophischen Literatur erscheint die Freundschaft daher oft als eine paradoxe Beziehung, die ständig unter Spannung steht“, sagt Van Tongeren. Laut dem Psychologen Van Lange sind wir nicht stolz darauf, dass wir Gegenseitigkeit wichtig finden. „Aber in der Praxis fragen wir uns dennoch: Würde dieser Freund das auch für mich tun?“
Wie treffen wir die Entscheidung, dass wir mit jemandem befreundet sein wollen?
„Wir freunden uns mit Menschen an, von denen wir glauben, dass sie uns ähnlich sind in Bezug auf Herkunft, Bildung und politischen Vorlieben“, sagt Van Lange. Manchmal ist der Ursprung einer Freundschaft ziemlich banal. Studien zeigen, dass Nähe ein wichtiger Vorhersagefaktor für Freundschaft ist. „Die Leute freunden sich eher mit dem direkten Nachbarn an als mit dem Nachbarn im übernächsten Haus. Das hat einfach damit zu tun, wen man am häufigsten trifft.“
Trotzdem führt uns der Begriff „Freundschaft schließen“ auf die falsche Fährte, meint Paul van Tongeren. „Der Ausdruck lässt vermuten, dass es sich um eine ganz bewusste Entscheidung handelt, aber das ist meistens nicht so. Jemand hat einmal zu mir gesagt: Wenn man nicht weiß, wie und warum man sich angefreundet hat, dann ist die Chance groß, dass es echte Freundschaft ist.“
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