Die scheinbar funktionslose Thymusdrüse im Brustkorb spielt laut neuen Forschungen eine wichtige Rolle für die Gesundheit des Immunsystems und den Schutz vor Krebs.
Beeindruckend ist sie nicht: die Thymusdrüse oder das Bries. Das Organ ist nicht viel größer als eine Walnuss, liegt hinter dem Brustbein, oberhalb des Herzbeutels im Mittelfell und scheint bei Erwachsenen wenig Funktion zu haben. Die meisten Menschen können wahrscheinlich nicht einmal sagen, wo sich der Thymus im Körper befindet. Deshalb entfernen Chirurgen die Thymusdrüse gerne einfach, weil sie zum Beispiel bei Herzoperationen schon mal im Weg ist. Neue Forschungsergebnisse deuten nun aber darauf hin, dass wir dem kleinen Organ (und uns selbst!) schrecklich unrecht tun.
Mehr Sterbe- und Krebsfälle ohne Thymus
Tatsächlich hat man Beweise dafür gefunden, dass die Thymusdrüse - im Gegensatz zu dem, was Wissenschaftler und Ärzte lange Zeit dachten - eine wichtige Rolle für die Gesundheit von Erwachsenen spielt. Dies wird in der Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ berichtet. Für die Studie verglichen die Forschenden eine Gruppe von Menschen, denen fünf Jahre zuvor die Thymusdrüse entfernt worden war, mit einer Gruppe von Menschen, die das Organ noch hatten. Die Studie zeigt, dass Menschen, denen die Thymusdrüse entfernt worden war, in den fünf Jahren nach der Operation fast dreimal so häufig starben und doppelt so häufig an Krebs erkrankten.
Nutzloses Organ?
Man kann es überraschend nennen. Denn es ist noch gar nicht so lange her, da galt die Thymusdrüse - zumindest bei Erwachsenen - als eher nutzloses Organ. So bezeichnete Peter Medawar 1961 - mit einem Nobelpreis für Medizin in der Tasche sicher als Experte zu bezeichnen - die Thymusdrüse als „evolutionären Unfall ohne große Bedeutung“. Diese Aussage kam natürlich nicht aus heiterem Himmel. Studien zeigten, dass der Thymus bei Kindern zwar ein wichtiger Produzent von Immunzellen (den sogenannten T-Zellen) ist, aber ab der Pubertät schnell altert. Dies führte die Wissenschaftler zu der scheinbar offensichtlichen Schlussfolgerung, dass der Thymus mit dem Erreichen des Erwachsenenalters keine bedeutende Funktion mehr hat.
Oder nützliches Organ?
In den letzten Jahren haben Forschende jedoch zunehmend den Verdacht geäußert, dass der Thymus ernsthaft unterschätzt wird. Einer von ihnen ist Kameron Kooshesh, erster Autor der Studie, die jetzt im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde. Sein Interesse wurde geweckt, als er im Studium lernte, dass die Entfernung des Thymus bei Patienten mit der T-Zell-induzierten Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis empfohlen wird. Bei Patienten mit dieser Krankheit funktionieren die Muskeln weniger gut, da Antikörper den Übergang zwischen Nerv und Muskel angreifen. Die Vorstellung, dass sich der Zustand dieser Patienten durch die Entfernung des Thymus verbessern könnte, klang für Kooshesh widersprüchlich. Denn in anderen Vorlesungen hörte er wieder, dass der Thymus bei Erwachsenen keine bedeutende Rolle spielt. „Diese beiden Philosophien schienen im Widerspruch zueinander zu stehen, und ich wollte mehr wissen“, sagt er selbst.
Die Studie
So sammelte er die Daten von mehr als 1.100 erwachsenen Patienten, denen die Thymusdrüse entfernt worden war. Außerdem stellte er eine Kontrollgruppe zusammen, die aus Patienten bestand, die demografisch ähnlich waren und sich ebenfalls ähnlichen Operationen unterzogen hatten wie die Patienten der anderen Gruppe, dabei aber ihre Thymusdrüse behalten hatten. Anschließend untersuchte der Forscher mit Hilfe von Kollegen, wie es den Patienten in beiden Gruppen fünf Jahre nach ihrer Operation erging. Dabei stellten sie fest, dass das Krebs- und Sterberisiko nach der Thymusentfernung anstieg.
T-Zellen und Zytokine
Die Wissenschaftler beschlossen dann, noch ein wenig weiter zu gehen und untersuchten einen kleinen Teil der zuvor untersuchten Patienten, deren T-Zell-Produktion ebenfalls gemessen worden war. Diese Analyse ergab, dass Patienten, bei denen der Thymus entfernt worden war, viel weniger neue T-Zellen produzierten und mehr entzündungsfördernde Zytokine im Körper hatten (Proteine, die auch mit Autoimmunerkrankungen und Krebs in Verbindung gebracht werden). „Je tiefer wir gruben, desto mehr fanden wir“, sagt Kooshesh. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Fehlen des Thymus grundlegende Aspekte der Immunfunktion stört.“
Wichtige Funktion
Es scheint also, dass der Thymus stark unterschätzt wurde. „Bei der Untersuchung von Menschen, denen der Thymus entfernt wurde, haben wir festgestellt, dass die Thymusdrüse für eine gute Gesundheit absolut notwendig ist“, fasst der Wissenschaftler David Scadden zusammen. „Wenn der Thymus nicht vorhanden ist, verdoppelt sich das Sterbe- und Krebsrisiko eindeutig. Das deutet darauf hin, dass die Folgen der Thymusentfernung sorgfältig bedacht werden sollten, wenn eine Thymektomie (Entfernung des Thymus) in Betracht gezogen wird.“
Inzwischen wollen Scadden und seine Kollegen mehr wissen über den Thymus. So wollen sie in zukünftigen Studien dem Einfluss auf die Gesundheit weiter auf den Grund gehen. Dazu wollen sie unter anderem verschiedene Thymusdrüsen - die auch unterschiedlich aktiv sind - miteinander vergleichen. Damit soll geklärt werden, ob der Haupteinfluss des Thymus auf die Gesundheit durch seine Aktivität oder allein durch das Vorhandensein des Organs bestimmt wird.
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