Dienstag, 22. August 2023

Düfte geben dem Gedächtnis einen Kick



Unser Geruchsinn ist oft das Stiefkind unter den Sinnesorganen. Zu Unrecht, denn es scheint eine starke Verbindung zwischen Geruch und Erinnerung zu geben. Ein vertrauter Duft kann Erinnerungen und Gefühle aus längst vergangenen Zeiten hervorrufen. In der Tat scheinen nächtliche Duftmuster dem Gedächtnis einen gewaltigen Schub geben zu können.

Sechs Monate mit Duft schlafen

Wissenschaftler der University of California (UCI) beschlossen, einen einfachen Geruchstest durchzuführen. Zwei Gruppen von über 60-Jährigen ohne gesundheitliche Probleme erhielten jede Woche einen Duftzerstäuber und sieben verschiedene Kartuschen. Jeden Abend wurde der Zerstäuber für zwei Stunden eingeschaltet und das Schlafzimmer mit einem angenehmen Duft erfüllt. Insgesamt benutzten die Teilnehmer sieben Düfte, einen für jeden Tag der Woche. Eine Gruppe erhielt eine leichte Version der Duftkartuschen, während die andere Gruppe einer viel stärkeren Menge an Duftöl ausgesetzt war. Nach sechs Monaten mit duftendem Schlaf wurden die Ergebnisse anhand eines Standard-Gedächtnistests und einer Reihe von Gehirnscans der Teilnehmer bewertet.

Enorm höhere Punktzahl

Die Ergebnisse lügen nicht. Die Gruppe, der das starke Duftöl verabreicht wurde, schnitt bei kognitiven Tests um satte 226 Prozent besser ab als die Kontrollgruppe. Gemessen wurde dies anhand eines Gedächtnistests, bei dem die Teilnehmer sich möglichst viele Wörter in der richtigen Reihenfolge merken und auflisten sollten. Die Gehirnscans zeigten deutlich stärkere Gehirnverbindungen zwischen dem medialen Temporallappen und dem präfrontalen Kortex, wo die Entscheidungsfindung angesiedelt ist. Dieses ganze System wird im späteren Leben immer schwächer. In der Gruppe, die täglich eine hohe Dosis Duftöl erhielt, war diese Verschlechterung jedoch deutlich weniger ausgeprägt. Diese Teilnehmer berichteten auch über eine bessere Schlafqualität als die Kontrollgruppe.

Bei 70 Krankheiten tritt Geruchsverlust auf

Wissenschaftler wissen schon länger, dass der Verlust des Geruchssinns mit der Entstehung von fast 70 neurologischen und psychiatrischen Krankheiten in Verbindung steht. Dazu gehören die Alzheimer-Krankheit und andere Formen der Demenz, die Parkinson-Erkrankung, Schizophrenie und Alkoholismus. Es mehren sich die Hinweise darauf, dass es auch einen Zusammenhang zwischen dem COVID-19-bedingten Verlust des Geruchssinns und dem Rückgang der kognitiven Fähigkeiten gibt. Frühere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass sich die Gedächtnis- und Sprachfähigkeiten von Menschen mit mittelschwerer Demenz steigern, ihre Depressionen abnehmen und sich ihr Geruchssinn verbessert, wenn sie zweimal täglich über einen längeren Zeitraum 40 verschiedenen Düften ausgesetzt werden. Das UCI-Team beschloss, auf diesem Wissen aufzubauen und ein einfaches Mittel gegen Demenz zu entwickeln.

Nächtlicher Duft

„Ab einem Alter von etwa 60 Jahren lassen der Geruchsinn und das Gedächtnis stark nach, das ist die harte Realität“, sagt der Neurobiologe Michael Leon. „Aber es ist unrealistisch zu glauben, dass Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen jeden Tag achtzig Duftflaschen öffnen, erschnüffeln und wieder zudrehen. Das ist schon eine schwierige Aufgabe, selbst für Menschen, die nicht an Demenz erkrankt sind.“

Die Studienleiterin Cynthia Woo fügt hinzu: „Deshalb haben wir in unserer Studie die Anzahl der Düfte auf sieben reduziert und die Teilnehmer riechen nur einen Duft pro Tag. Wir haben versucht, es so einfach wie möglich zu machen, indem wir die Teilnehmer den Gerüchen nur nachts ausgesetzt haben. Auf diese Weise mussten sie sich tagsüber nicht extra Zeit für das Experiment nehmen.“

Spezieller Platz im Gehirn

„Der Geruchssinn nimmt einen besonderen Platz im Gehirn ein. Er ist nämlich direkt mit den Gedächtnisschaltkreisen verbunden“, sagt Professor Michael Yassa. „Reize von allen anderen Sinnen durchlaufen zuerst den Thalamus, Geruchsreize jedoch nicht. Jeder hat schon einmal erlebt, wie stark ein Geruchserlebnis sein kann. Man kann plötzlich eine alte Erinnerung sehr deutlich wiedererleben, auch wenn sie schon sehr lange zurückliegt. Es gibt jedoch nichts Entsprechendes in Form einer Brille oder eines Hörgeräts auf dem Markt, um den Verlust des Geruchssinns auszugleichen.“

Die US-Forscher wollen ihre Studie über den Zusammenhang zwischen Geruch und Gedächtnis fortsetzen, indem sie untersuchen, welche Auswirkungen ihre Technik auf Menschen mit einer diagnostizierten Form von Gedächtnisverlust hat. Sie wollen mehrere wirksame Duftmethoden zur Bekämpfung von Demenz und anderen Hirnerkrankungen entwickeln. Das Team hofft, noch vor Ende des Jahres ein Produkt auf den Markt zu bringen, das man einfach zu Hause anwenden kann.

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