Eine neue Studie über die Auswirkungen von Schwerelosigkeit im Weltraum liefert neue Erkenntnisse über die Entstehung von Diabetes.
Astronauten leben während ihrer Weltraummission oft Wochen oder Monate in der Schwerelosigkeit. In dieser Zeit benutzen sie ihre Muskeln durch die fehlende Schwerkraft kaum. Um zu untersuchen, wie sich dies auf den Körper auswirkt, haben die Weltraumorganisationen ESA und NASA mit Bewegungswissenschaftlern in den Niederlanden und Großbritannien zusammengearbeitet. Die Studie ergab, dass die Muskelmasse bei Bettruhe bereits nach sechs Tagen abnimmt und die Muskeln mehr Fett und Zucker (Glukose) einlagern. Außerdem reagieren die Muskeln weniger empfindlich auf Insulin (das Hormon, das die Glukose in die Zellen schleust), was auf eine Vorstufe von Typ-2-Diabetes hinweist.
Damit sind die Erkenntnisse nicht nur für die ausgewählte Gruppe von Astronauten relevant, sondern auch für unzählige Erdbewohner. Insbesondere für Krankenhauspatienten, bei denen eine sechstägige Bettlägerigkeit häufig vorkommt. „Um zu verstehen, wie sich körperliche Inaktivität auf die menschliche Physiologie auswirkt, müssen wir also nicht nur Astronauten, sondern auch Menschen auf der Erde anschauen“, sagt Moritz Eggelbusch, einer der leitenden Wissenschaftler.
Sechzig Tage Bettruhe
Die Wissenschaftler ließen daher 24 gesunde Teilnehmer im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln 60 Tage lang ausschließlich im Bett liegen, um zu simulieren, was die Schwerelosigkeit mit dem Körper macht. Die Teilnehmer mussten alles im Liegen machen. Außerdem lag ihr Kopf sechs Grad tiefer als die Füße. „Auf diese Weise wurden die Muskeln weniger belastet und die Körperflüssigkeiten verteilten sich gleichmäßiger im Körper“, erklärt der andere leitende Wissenschaftler Rob Wüst. „Normalerweise fließt das Blut hauptsächlich in die Beine. Durch die Schwerelosigkeit im Weltraum ist das nicht der Fall, und der Druck im Kopf wird sogar sehr hoch.“ Das ist auch der Grund, warum Astronauten oft Kopfschmerzen haben, erklärt Wüst. „Genauso wie Probleme mit dem Sehen und den Augen.“
Abbau der Muskelmasse
Die Wissenschaftler maßen vor, während und nach der Bettruheperiode, wie viel Muskelmasse, Fett und Glukose die Teilnehmer in ihren Muskeln hatten und wie empfindlich sie auf Insulin reagierten. Sie stellten fest, dass die Teilnehmer nach nur sechs Tagen Bettruhe durchschnittlich 23 Prozent weniger Muskelmasse hatten und ihre Muskeln mehr Fett und mehr Glukose gespeichert hatten. Außerdem reagierten sie weniger empfindlich auf Insulin, das heißt, die Muskeln waren weniger in der Lage, Glukose zu verarbeiten. Diese Veränderungen setzten sich nach zwei Monaten Bettruhe fort. Dann hatten die Teilnehmer im Durchschnitt zwölf Prozent weniger Muskelmasse als nach sechs Tagen Bettruhe. Aber ihre Insulinempfindlichkeit nahm nicht weiter ab. Und das ist auffallend, sagt Wüst.
Insulinempfindlichkeit passt sich an
„Man würde erwarten, dass sich die Insulinresistenz kontinuierlich verschlechtert. Aber was wir sehen, ist, dass der Körper nach sechs Tagen weniger empfindlich auf Insulin reagiert, was letztlich dazu führt, dass weniger Glukose in die Muskelzelle aufgenommen wird.“ Und das ist positiv für den Muskel, erklärt Wüst. „Indem er weniger Glukose einlagert, gibt es weniger negative Probleme im Muskelstoffwechsel und der Körper beugt zusätzlichen Schäden vor.“ Die Insulinempfindlichkeit des Muskels schützt also den Muskel, erklärt er. Die Ergebnisse liefern somit neue Erkenntnisse darüber, wie eine Insulinresistenz entsteht. „Hier scheint es sich um eine positive Anpassung des Körpers zu handeln, um weitere Schäden am Muskel zu minimieren“, so Wüst.
Längere Bettruhe erhöht das Risiko für Krankheiten
Obwohl der Körper selbst über Möglichkeiten verfügt, die negativen Auswirkungen der Bettruhe abzumildern, ist eine längere Bettruhe ungesund. So steigt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, an Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes, Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkranken. „Wir sollten also versuchen zu verhindern, dass unsere Muskeln zu viele Nährstoffe speichern und dadurch unser Stoffwechsel gestört wird“, so Eggelbusch. Die Wissenschaftler beschlossen daher zu untersuchen, ob sie eine künstliche Schwerkraft erzeugen können, um den negativen Auswirkungen der Schwerelosigkeit entgegenzuwirken. Dazu ließen sie einen Teil der Teilnehmer täglich eine halbe Stunde lang in einer Zentrifuge auf Nabelhöhe rotieren. Wüst: „Die G-Kräfte, die dann durch die Zentrifugalkräfte auf den Körper einwirken, erzeugen eine zusätzliche Schwerkraft. Dadurch wird das Blut in die Füße zurückgezogen, und der Druck auf das Gehirn nimmt ab.“
Keine Zentrifugen auf dem Mond
Da die künstliche Schwerkraft die Abnahme der Muskelmasse nicht begrenzt hat, glaubt Wüst nicht, dass es auf dem Mond jemals große Zentrifugen geben wird, die die Gesundheit der Astronauten fördern. „Die Verbesserungen, die wir gesehen haben, sind sehr minimal. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das Zentrifugieren nur eine halbe Stunde pro Tag dauert. Den Rest des Tages liegt man also wieder herum. Wir erwarten darum auch nicht, dass das in Zukunft ein guter Weg ist, um die Auswirkungen der Mikroschwerelosigkeit oder den Gewichtsverlust zu begrenzen.“ Auch auf der Erde wird die Technik in absehbarer Zeit nicht eingesetzt werden, um den ersten Anzeichen von Diabetes entgegenzuwirken, meint er.
Bewegung nach Operationen
Außerdem wurde diese Studie an gesunden, fitten Teilnehmern durchgeführt, schränkt Wüst ein. Das lässt sich also nicht eins zu eins auf eine Krankenhausumgebung übertragen. Da spielen auch andere Aspekte eine Rolle. „Entzündungen nach Operationen zum Beispiel, von denen Stoffe in die Blutbahn gelangen. Das beschleunigt die körperlichen Veränderungen, die wir festgestellt haben. Das heißt also, wenn man krank ist, nimmt die Muskelmasse viel schneller ab und auch die Veränderungen im Stoffwechsel sind anders.“
Wollen wir Erdenbürger den Schaden einer Bettlägerigkeit begrenzen, müssen wir uns vor allem viel bewegen und nicht übermäßig viel essen. Wüst: „Nach einer Operation oder einem anderen Eingriff sollte man versuchen, so schnell wie möglich aus dem Bett zu kommen. Und wenn das zum Beispiel wegen einer Hüft- oder großen Bauchoperation körperlich nicht möglich ist: Bewegen Sie die Arme oder den Oberkörper. Es ist gar nicht so wichtig, was Sie tun, Hauptsache, Sie bewegen sich.“
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