Samstag, 3. August 2024

So kann man Nebenwirkungen der Chemotherapie vorbeugen

Ein Bewegungstraining kann Nervenschäden durch Chemotherapie vorbeugen (Foto: pixabay.com)


Es gibt eine einfache, sehr kostengünstige Möglichkeit, den unangenehmen Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Nervenschäden vorzubeugen.

 

Bei einer Krebsbehandlung geht es längst nicht mehr nur um das Überleben. Die Lebensqualität derjenigen, die geheilt werden, wird immer wichtiger. Eine Chemotherapie kann zum Beispiel zu Nervenschäden führen. Doch dagegen haben Forschende jetzt etwas gefunden.

Krebsmedikamente können die Nerven schädigen

Krebsbehandlungen führen bei vielen Patienten zu Nervenschäden, weil die Medikamente - sei es eine Chemotherapie oder eine moderne Immuntherapie - sowohl die Tumorzellen als auch die Nerven angreifen. Bei einem der Teil der Behandelten führt das zu bleibenden Schäden. Medikamente gegen diese Nervenschäden sind wirkungslos.

Nun gibt es Hoffnung für diese Patienten. Die Sportwissenschaftlerin Fiona Streckmann von der Universität Basel und der Deutschen Sporthochschule Köln hat gezeigt, dass es einen Weg gibt, diese schweren Nebenwirkungen zu bekämpfen: Nicht mit Medikamenten, sondern mit körperlicher Aktivität. Einfache Übungen können in vielen Fällen die durch die Krebsmedikamente verursachten Nervenschäden verhindern. Probanden, die begleitend zu ihrer Krebstherapie dieses Sporttraining machten, schnitten bei den Tests deutlich besser ab.

CIPN: Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie

Einige Krebsmedikamente wie Oxaliplatin oder Vinca-Alkaloide verursachen bei 70 bis 90 Prozent der Patienten Schmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Taubheit, Brennen oder Kribbeln in den Gliedmaßen. Die Probleme können nach Abschluss der Behandlung wieder verschwinden, aber bei etwa der Hälfte der Patienten entwickeln sie sich zu einem chronischen, sehr belastenden Leiden. Fachleute bezeichnen dies als Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie, kurz CIPN. Die Neuropathie-Symptome beginnen meist in den Zehen und Fingern, können sich aber auf Arme und Beine ausbreiten.

Bewegung neben der Chemotherapie

An der europäischen Studie nahmen 158 Krebspatienten teil. Diese Gruppe bestand aus Männern und Frauen, die mit Oxaliplatin oder Vinca-Alkaloiden behandelt wurden. Die Wissenschaftler teilten die Patienten nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen ein. Es gab eine Kontrollgruppe, die die Standardbehandlung erhielt. Die beiden anderen Gruppen erhielten während der Chemotherapie zweimal wöchentlich 15 Minuten bis zu einer halben Stunde Bewegungstraining. Eine der Gruppen führte Übungen durch, die sich hauptsächlich auf das Balancieren auf einem immer instabileren Untergrund konzentrierten. Die andere Gruppe trainierte auf einer Vibrationsplatte.

Die Probanden wurden in den folgenden fünf Jahren nachuntersucht. Dabei zeigte sich, dass in der Kontrollgruppe etwa doppelt so viele Teilnehmer eine CIPN entwickelten wie in den beiden Trainingsgruppen. Mit anderen Worten: Die Übungen, die die Patienten parallel zur Chemotherapie machten, verringerten die Nervenschäden um 50 bis 70 Prozent. Darüber hinaus berichteten die Teilnehmer über eine höhere Lebensqualität, mussten seltener ihre Dosis an Krebsmedikamenten reduzieren und hatten sogar eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, fünf Jahre nach der Chemotherapie zu überleben. Die Teilnehmer, die ein sensomotorisches Training (Gleichgewichtsübungen auf instabilem Untergrund) durchführten, hatten den größten Vorteil, verglichen mit der Kontrollgruppe.

Klassische Medikamente nutzlos und teuer

Im Laufe der Jahre wurde viel Geld in die Reduzierung der CIPN investiert, erklärt Streckmann. „Diese Nebenwirkung hat direkte Auswirkungen auf die klinische Behandlung: Die notwendigen Therapiezyklen können nicht mehr eingehalten, die Dosierung der nervenschädigenden Wirkstoffe in der Chemotherapie muss reduziert oder die Behandlung notgedrungen vorzeitig abgebrochen werden.“ Dennoch gibt es bislang keine guten Medikamente: Mehrere Studien haben gezeigt, dass keine Arzneimittel die Nervenschäden verhindern oder rückgängig machen können. Trotzdem werden nach neuesten Schätzungen in den USA jährlich etwa 17.000 Dollar pro Patient für die Behandlung von Nervenschäden durch Chemotherapie ausgegeben. Streckman vermutet, dass „Ärzte trotz allem Medikamente verschreiben, weil das Leiden der Patienten so groß ist“.

Forschungen in Kinderkliniken

Die Sportwissenschaftlerin macht deutlich, dass es eine bessere Lösung für dieses Problem gibt. Die positive Wirkung von Bewegung ist in der Tat erwiesen, und diese Behandlung ist zudem relativ kostengünstig. Sie und ihr Team arbeiten derzeit an Leitlinien für Krankenhäuser, damit Ärzte Bewegung als unterstützende Therapie in ihre klinische Praxis integrieren können. Außerdem läuft seit 2023 in sechs deutschen und schweizerischen Kinderkliniken eine Studie, die Bewegung als Behandlung gegen sensorische und motorische Störungen bei Kindern mit nervenschädigender Chemotherapie untersuchen soll.

„Das Potenzial von körperlicher Aktivität wird massiv unterschätzt“, erklärt Fiona Streckmann. Sie hofft sehr, dass diese vielversprechenden Forschungsergebnisse dazu führen, dass mehr Sporttherapeuten in Krankenhäusern eingesetzt werden und dass Mediziner dieses Potenzial in naher Zukunft besser nutzen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.